Webwecker Bielefeld: Für Frieden im Nahen Osten (16.08.2006)

Für Frieden im Nahen Osten (16.08.2006)







200 Ballons für Frieden ließen Demonstranten am Samstag steigen



Von Manfred Horn

Am Samstag demonstrierten vor dem Hauptbahnhof rund 150 Menschen für Frieden in Israel, Palästina und im Libanon. Aufgerufen hatte das Bielefelder Friedensnetzwerk, das in den vergangenen Wochen bereits mehrfach mit der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand im Krieg im Nahen Osten an die Öffentlichkeit ging (WebWecker berichtete).

Winfried Engl vom Friedensnetzwerk begrüßte die Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und sprach von einem kleinen Samenkorn der Hoffnung. Die am Freitag Abend in New York vom Sicherheitsrat verabschiedete Resolution sieht die Aufstockung der UN-Truppen im Südlibanon sowie den Rückzug der israelischen Streitkräfte vor. Im Detail sollen 15.000 libanesische und internationale Soldaten anstelle der Israelis und der Hisbollah in den Südlibanon einrücken. Die israelische und die libanesische Regierung hatten am Wochenende die UN-Resolution und die Waffenruhe gebilligt.

Unter dem Motto »Ballons statt Bomben« ließen Demonstranten auf dem Platz vor dem Bielefelder Hauptbahnhof Luftballons steigen. Sie sollten als Symbol für eine friedliche Alternative zum Krieg dienen. Nach Winfried Engl redete auch eine junge Libanesin, die insbesondere auf die traumatisierende Situation von Kindern einging, die durch die Bomben des israelischen Militärs bedroht wurden.

Weiter forderte das Friedensnetzwerk die Bundesregierung auf, die deutschen Waffenlieferungen in die Kriegsregion, unter anderem gehen U-Boote und Panzer an Israel, zu stoppen. In seinem Aufruf betonte das Friedensnetzwerk, das Gewalt, Terror und Faustrecht keine Lösung, sondern immer wieder nur aufs neue Tod und Leiden hervorbringen würden. »Die Kollektivbestrafung der libanesischen Bevölkerung für die Entführung zweier israelischer Soldaten werde nur eine weitere Spirale der Gewalt zur Folge haben«. Es gelte, aus der Logik von Rache und Vergeltung auszusteigen. Die Bundesregierung solle sich zudem für ein Friedensabkommen zwischen Israel und Palästina einsetzen und sich für eine Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Nahost unter Einbeziehung aller Konfliktparteien, einschließlich der israelischen, libanesischen, syrischen und iranischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde, stark machen

Im Anschluss an die Demonstration des Friedensnetzwerkes gingen ebenfalls am Hauptbahnhof islamisch gläubige Menschen auf die Straße, um gegen den Krieg zu protestieren.







Friedensbündisse um jeden Preis?


Ein Kommentar von Manfred Horn


Die Friedensbewegung in Deutschland ist schwach. Nur wenige Menschen wollten in den vergangenen Wochen für einen sofortigen Waffenstillstand demonstrieren. Vielen wird es einfach egal sein, was da im Nahen Osten passierte und passiert, andere sind schlicht nicht einverstanden mit einer solchen Forderung.

Das Bielefelder Friedensnetzwerk hat dennoch versucht, dieser schwachen Stimme im Kriegswahnsinn Ausdruck zu verleihen. Das war richtig und wichtig. Und doch wurde – vielleicht aus dem Wunsch heraus, mehr als nur 50 Teilnehmer zu sein – mit bedenklichen Organisationen kooperiert. So fand am Samstag nach der Kundgebung des Friedensnetzwerks am Hauptbahnhof eine Demonstration eines Bündnisses muslimischer Gemeinden statt. Die Veranstaltungen gingen fließend ineinander über, das Friedensnetzwerk hatte zuvor gleich auch für die Demonstration der muslimischen Gemeinden mitgeworben.


Frieden mit National-Religiösen?

An sich ist es eine gute Sache, wenn sich Menschen gleich welcher Religion für Frieden in der Region einsetzen. Doch zu den Aufrufern gehörte neben dem Islamischen Zentrum und Kulturvereinen auch die IGMG Bielefeld. IGMG jedoch steht für Milli Görüs. Milli Görus gilt als national-religiöse Organisation. Seit 1985 ist sie in der Bundesrepublik aktiv, sie betreibt sie heute über 200 Moscheen, die denen sich türkeistämmige Muslime versammeln. Milli Görus ist in der Vergangenheit in Publikationen vor allem in der ihr nahestehenden Tageszeitung ›Milli Gazete‹ durch antisemitische Hetzparolen aufgefallen. Milli Görüs selbst verhält sich inzwischen vorsichtiger, wohl auch, weil die Organisation unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht.

Bedenklich auch, dass das Friedensnetzwerk 200 Luftballons steigen ließ, die auf einer Postkarte, die mit einem Band an den Luftballons befestigt war, folgenden Text aufgedruckt hatten: »Schulkinder in Israel schickten Bomben als ›Geschenk‹ auf die Reise in den Libanon. Wir schicken diese Luftballons als Zeichen des Friedens in alle Welt«. Wenn jemand nichts für diesen Krieg kann, dann sind es Kinder. Schlimmer noch, sie werden von allen Konfliktparteien auf verschiedenste Weise instrumentalisiert, weil alle Kriegsparteien wissen, wie wirkungsmächtig Bilder von Kindern sind: Eben weil sie die Unschuld und Zukunft symbolisieren.

So gingen die Fotos von Adnan Hajj – der kürzlich der Fotomanipulation überführt wurde, als er das Foto eines Bombenangriffs auf Beirut mit einem PC-Programm so nachbearbeitete, dass es dramatischer wirkte – um die Welt und kamen auf die Titelseiten. Zu sehen war unter anderem ein verzweifelter Rot-Kreuz-Helfer mit einem toten libanesischen Kind im Arm. Auch in Israel werden Kinder für den Krieg instrumentalisiert: Medienwirksam lassen Militärs Kinder die Bomben bemalen, die später dann Richtung Libanon abgefeuert werden. Dies rechtfertigt aber nicht, auf eine Postkarte einen solchen Satz zu schreiben.

Es gibt zahlreiche Organisationen, die das Existenzrecht Israels bestreiten. Diese gehen in solchen Kriegssituationen gerne an die Öffentlichkeit. Sie geben vor, für Frieden zu sein, machen gleichzeitig aber zuvorderst Israel für die Krisen und Kriege in der Region verantwortlich. Für die Friedensbewegung aber bedeutet dies, sich nicht für mehr oder weniger versteckten Judenhass missbrauchen zu lassen.

Dazu gehört auch, Nationalflaggen gleich welchen Landes auf solchen Demonstrationen nicht zuzulassen. Wenn, wie am Samstag, Demonstranten die Türkei-Flagge schwenken und einer auf persönliche Ansprache antwortet, er würden sie gegen Zahlung von zehn Euro wieder einrollen, ist das unglaublich – aber leider wahr.


Gerade in der Türkei, historisch durchaus eine bescheidende Zufluchtsstätte für verfolgte Juden, nahmen in den vergangenen Wochen antisemitische Aktionen zu. So spekulieren nach einem Bericht der ›Frankfurter Rundschau‹ Teile der türkischen Presse, der Verleger Rupert Murdoch, Sohn einer jüdischen Mutter, verfolge mit dem Kauf eines türkischen Fernsehsenders den Plan, den Zionismus in Anatolien zu verbreiten.

Bedeutsam für die Friedensbewegung ist der Bezug auf soziale Bewegungen in der Region. Sowohl in Palästina, im Libanon und Israel gibt es Gruppen, die sich für dauerhaften Frieden einsetzen und denen die Religion und die Nationalität weniger wichtig sind als das menschliche Miteinander. Dass es nicht viele sind, verwundert nicht: Viel zu lange schon dauert der Konflikt, der bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Gruppen wie ›Gush Schalom‹, eine Friedensinitiative um Uri Averny, demonstrierten auch in den vergangenen Wochen in israelischen Städten für Frieden. Das Bielefelder Friedensnetzwerk bezieht sich explizit auf Averny. Der Publizist und langjährige Knesset-Abgeordnete wurde 1923 in Beckum geboren und wanderte 1933 nach Palästina aus. Er gehört seit Jahrzehnten zu den profiliertesten Gestalten der israelischen Politik. 2001 erhielt er den alternativen Nobelpreis.




»Ein Mann meiner Generation kann kein Pazifist sein«



2001 hatte Manfred Horn die Gelegenheit, Uri Averny zu interviewen. Das Interview entstand vier Wochen nach den Terror-Anschlägen vom 11. September. Obwohl inzwischen fünf Jahre alt, dokumentieren wir hier das Gespräch, da es zentrale Gedanken von Averny spiegelt und zugleich in erschreckender Weise deutlich macht, wie andauernd der Konflikt ist.


Manfred Horn: Das Umfeld der Attentäter vom 11. September scheint nicht anders als durch Gewalt zu bändigen. Stimmen Sie einer militärischen Lösung zu?

Uri Averny: Wenn es sich darum handelt, die Wut zu entladen, sind Militärschläge verständlich. Aber wenn das Ziel ist, dem Terror ein Ende zu bereiten, dann sind solche Aktionen sinnlos. Terror ist keine eigenmächtige Erscheinung, sondern das Resultat einer politischen Situation. Bin Laden, wenn er es war, hatte nicht zufällig diese Aktion zu diesem Zeitpunkt anberaumt. Man muss sich fragen, warum hat er das gerade am 11. September getan. Er glaubt, das die Stimmung in den arabischen und muslimischen Ländern reif dafür ist. Er weiß, solche Taten sind bei den arabischen und muslimischen Massen populär, weil sich der Hass gegen Amerika gespeichert hat.


Enden Militärschläge gegen radikale Islamisten nicht in der gleichen Gewaltlogik, die sich momentan zwischen Israel und Palästina abspielt?

Obwohl es zwei verschiedene Situationen sind, ist die Antwort: ja. Militärische Aktionen können politische Probleme nicht lösen. Es ist sehr leicht, einen Krieg anzufangen. Aber man weiß nie, wie er ausgeht. Warum sollten Militärschläge dem Terror ein Ende setzen? Es scheint doch, dass der Gegner keine Organisation ist, sondern eine Koalition von verschiedenen islamischen fundamentalistischen Untergrundgruppen in mehreren Ländern, nicht nur in der arabischen Welt, sondern auch in Europa und Amerika. Zu glauben, dass man mit einem militärischen Aufgebot so ein Netz von Gruppen besiegen kann, solange die Stimmung der Araber und der Muslime für sie ist, beruht auf einem Irrtum.


Aber wie kann man gegen Leute vorgehen, die noch nicht einmal Respekt vor ihrem eigenen Leben haben?

Leute, die bereit sind, Selbstmordaktionen zu verüben, haben einen gewaltigen Vorsprung. In einer gewöhnlichen militärischen Operation, auch einer terroristischen Aktion, müssen die Täter einen Fluchtweg sicherstellen. Selbstmordattentäter hingegen agieren grenzenlos. Aber die Täter zu fassen, ist beinahe eine Nebenaufgabe. Die Hauptaufgabe ist es, die Stimmung im Umfeld der Täter zu verändern.

Wie kann das geschehen?

Indem man Probleme in der arabíschen Welt löst. Das akuteste ist der Israel-Palästina Konflikt. Arabische und europäische Fernsehstationen zeigen Bilder von israelischen Soldaten, wie sie Palästinenser schikanieren, töten und ihre Häuser zerstören. Für Europäer sind das Nachrichten, für arabische Menschen aber so, dass einer ihrer Brüder verfolgt wird. Es trifft sie ganz anders. Sie wissen, dass die Aktionen der israelischen Besatzungsarmee mit amerikanischen Waffen geführt werden. Die Wut auf die USA ist ungeheuer groß. Sie kennen die bedingungslose Unterstützung, die Israel seit vielen Jahren seitens der USA genießt. Wut erzeugt die Stimmung, die solche Terrorakte überhaupt möglich machen. Seinerzeit hat Mao gesagt, dass der Guerillakämpfer wie ein Fisch im Wasser ist. Und das Wasser ist die öffentliche Stimmung, dass sind die Massen. Solange der Sumpf da ist, werden die Moskitos kommen, ganz egal, wie viel man totschlägt. Es kommen immer neue.


»Es lohnt sich, den Preis für den Frieden zu zahlen«

Welche Chance hat die israelische Friedensbewegung, den Israel-Palästina Konflikt zu beenden?

Unsere Aufgabe ist, der israelischen Öffentlichkeit beizubringen, dass es sich lohnt, den Preis für einen Frieden zu bezahlen, ganz egal wie schmerzlich er für viele ist. Weil der Preis des Krieges viel größer ist. Wir sind nicht stark genug, um das alleine zu bewirken. Aber wenn eine internationale Einmischung kommt, wenn die USA diesmal wirklich durchgreifen, dann kann das diesmal zu einem ehrlichen Frieden führen.


Dazu müssten die Protagonisten vor Ort aber mitmachen. Doch sind Scharon, Peres und Arafat wirklich an Frieden oder nur an ihrer eigenen Macht interessiert?

Ohne eine Intervention von außen wird es bei dem momentanen gewalttätigen Zustand keinen Frieden geben. Wir sind für eine europäische Friedenstruppe, für eine internationale Friedenskonferenz wie nach dem ersten Golfkrieg in Madrid.


Wie stark ist die Friedensbewegung in Israel?

Die öffentliche Meinung in Israel ist heute bereit, einem Palästinenserstaat neben Israel zuzustimmen. Noch nicht erreicht haben wir, dass die öffentliche Meinung in Israel sieht, dass die Siedlungen ein Unglück sind und wegmüssen. Dass das arabische Ostjerusalem die Hauptstadt des Staates Palästina sein muss. Zur Zeit ist eine schlechte Stimmung, die unsere Aufgabe sehr schwer macht.


Die Friedensbewegung in Israel und Palästina unterscheidet von der bundesdeutschen Friedensbewegung, die zuletzt in den 80ern breit und stark war. Gibt es nur eine Chance auf eine Friedensbewegung, wenn die Bevölkerung direkt von Gewalt bedroht ist?

Wenn Leute Angst haben, dann fragen sie sich nicht, sondern reagieren blind und wütend. Wenn in Deutschland etwas Ähnliches wie am 11. September in den USA passieren würde, würde die deutsche Reaktion auch so sein. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass am Ende der Menschenverstand diese Gefühle besiegt. Die Bedrohung bringt eine Ambivalenz hervor. Der Verstand sagt den Leuten, um die Bedrohung zu beseitigen, muss man die Gründe dafür beseitigen. Das ist der Ausgangspunkt einer Friedensbewegung.


Wie wäre mit einer weltweiten Friedensbewegung?

Das wäre wunderbar. Frieden muss von unten kommen - es müssen Persönlichkeiten aus vielen Ländern zusammen kommen. Leute, die bekannt sind und Vertrauen genießen. Konflikte zwischen Türkei und Kurdistan oder in Nordirland beispielsweise, die Terror erzeugen, können nur gelöst werden, wenn sich eine starke Friedensbewegung dafür einnimmt und ernst und nach Lösungen sucht. Regierungen sind grundsätzlich gegen den Frieden, denn es ist immer populärer, sich demagogisch für Hass und Misstrauen einzusetzen.


Ist eine Friedensbewegung zwangsläufig pazifistisch?

Wenn man das Wort Pazifismus im deutschen Sinne nimmt, als absolute Kriegsverweigerung, dann halte ich es für unrealistisch. Ein Mann meiner Generation kann nicht Pazifist sein. Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass das Hitlerregime nur mit Gewalt niedergeschlagen worden ist. Man hatte nicht die Vernunft, die Machtergreifung der Nazis im Vorfeld zu verhindern. Eine Gewaltanwendung kommt immer dann, wenn die Verhinderung gescheitert ist. Wenn die Weltöffentlichkeit sich ernst mit solchen Problemen beschäftigt hätte, hätten Millionen Menschenleben gerettet werden können.



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