Webwecker Bielefeld: Marktkauf eröffnet und schmeißt raus (06.09.2006)

Marktkauf eröffnet und schmeißt raus (06.09.2006)



Schöne neue Einkaufswelt. Trotzdem will der Konzern alleine in Bielefeld 300 Stellen streichen, was rund 400 Menschen den Job kosten würde


Von Manfred Horn


Am Dienstag, 5. September, hat der neue Marktkauf an der Arthur-Ladebeck-Straße seine Pforten für den gewöhnlichen Konsumenten zum ersten Mal aufgeschlossen. Auf 22.000 Quadratmetern sind rund 20 Millionen Euro verbaut worden. Am Abend zuvor ließ es sich Oberbürgermeister Eberhard David nicht nehmen, das SB-Warenhaus mit den sympathischen Papiertüten in einer Feierstunde vor geladenen Gästen zu eröffnen. Die Werbung zuvor versprach die »neue Filiale Nr.1«, und tatsächlich ist der Bau zumindest groß geworden. Die alte Filiale an der benachbarten Friedrich-List-Straße ist seit Dienstag geschlossen, das Gelände an den Oetker-Konzern verkauft, der nach eigenen Angaben noch nicht weiß, was er mit der Fläche machen will.

Die Querelen mit den Anwohnern des neuen Marktkauf scheinen vergessen. Noch im März fürchteten die eine gravierende Verkehrszunahme in der angrenzenden Deckertstraße, Lärmschutzwände wurden gefordert. Auch machte das Gerücht die Runde, dass in der Ladenpassage ein Sexshop einziehen könnte. Dies wurde von vielen gerade wegen der räumlichen Nähe zu den von Bodelschwinghschen Anstalten kritisiert. Schließlich konnten sich die Anwohner und das Marktkaufmanagement auf Kompromisse einigen, der Sexshop kam definitiv nicht.

Er hätte auch schlecht gepasst zum Image eines Konzerns, der alljährlich im August in Bielefeld eine große Ballon-Fiesta veranstaltet. In diesem Jahr kamen so 30.000 Euro für die Elterninitiative krebskranker Kinder Ostwestfalen-Lippe zusammen. Der neue Marktkauf wurde in nur fünf Monaten hochgezogen. Dies wurde auch möglich, weil die Politik die Baupläne auf dem Gelände der ehemaligen Seydel-Fabrik sehr schnell bearbeitet hatte – manche meinten, zu schnell.

Die Eröffnung wird getrübt durch Massenentlassungen im Konzern, der bis 1. Juli AVA (Allgemeine Handelsgesellschaft der Verbraucher AG) hieß und inzwischen zum Edeka-Konzern gehört. Die Marktkauf Holding GmbH mit Sitz in Bielefeld gehört mit einem Jahresumsatz von rund 5,6 Milliarden Euro zu den großen Unternehmen des deutschen Einzelhandels. Marktkauf-Stammgebiet ist Ostwestfalen-Lippe, die historischen Wurzeln reichen über regionale Konsumgenossenschaften bis ins Jahr 1892 zurück.

 

Sanierer hat vorher schon bei Spar entlassen

Wie erwartet worden war, greift der neue Marktkauf-Vorstand und Arbeitsdirektor Stefan Schelo, der als knallharter Sanierer gilt, durch. Bevor er im Auftrag von Edeka beim Marktkauf anheuerte, sanierte er die Spar-Kette, um sie anschließend an Edeka zu verkaufen. Wie alle Sanierer, kennt er dabei offenbar vor allem eine Lösung: Entlassungen. 1.400 der insgesamt 17.000 Stellen sollen nach einem Aufsichtsratsbeschluss vom Dienstag wegfallen. Zugleich sollen weitere 1.800 kaufmännische Angestellte zu gewerblichen Arbeitnehmern umgruppiert werden, die dann rund 20 Prozent weniger verdienen würden. In welchem Umfang und wann die Entlassungen und Umgruppierungen umgesetzt werden, wird auch von den Verhandlungen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di abhängen, die versuchen wird, möglichst viele Arbeitsplätze zu retten.

Ausgerechnet am 5. September, dem Tag der Eröffnung der neuen Super-Filiale, hat der Vorstand in Bielefeld dem Aufsichtsrat sein Sanierungskonzept vorgestellt. Die Stimmung unter den Beschäftigten ist entsprechend: »Die gehen wohl erst in der neuen Filiale Sekt trinken und anschließend beschließen sie Entlassungen«, meint ein Marktkaufmitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden will.

Kritik kommt nun erstmals auch aus Reihen Bielefelder Politiker. Der Bielefelder SPD-Landtagsabgeordnete Günter Garbrecht ist zwar erklärter Marktkauf-Fan: »In der Marktkauffiliale Friedrich-List-Straße habe ich immer eingekauft«. Im nächsten Atemzug kritisiert er aber die drohenden Entlassungen. Allein in Bielefeld sollen 400 Stellen betroffen sein. »Angesichts dieser Tatsache fällt es mir schwer, bei Häppchen und Getränken die Filialeröffnung zu feiern, wenn kurz danach Bielefelder Marktkauf- Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter erfahren, dass sie entlassen werden oder von Gehaltskürzungen betroffen sind. Deshalb bleibe ich der Eröffnungsveranstaltung fern«, erklärte er am Montag.

Marktkauf droht mehreren Presseberichten zufolge nach 2005 mit gut 17 Millionen Euro Defizit ein Geschäftsjahr 2006 mit bis zu 150 Millionen Euro Miesen. Vor allem die Baumarktsparte belastet das Handelsunternehmen. Hier erwirtschaftete der Konzern alleine 2005 einen Fehlbetrag in zweistelliger Millionenhöhe. Kritiker werfen dem Marktkauf eine falsche Firmenpolitik vor: Bis vor kurzem setzte Marktkauf auf Expansion des Baumarktsegments. Noch im Jahr 2000 wurde in Bielefeld Brackwede ein 14.000 Quadratmeter großer Baumarkt eröffnet. Doch die Baumarktbranche gilt in Deutschland längst als gesättigt, und Marktkauf zieht vor der Konkurrenz wie Praktika (Metro), die mit immer neuen Superrabatten Kunden locken, den Kürzeren. Auch der Expansionskurs ins Ausland des Marktkauf war wohl ein einmaliges Abenteuer – und Desaster. Die Neuansiedlung mit Lebensmittel- und Baumarkt in Moskau im Jahr 2003 erwies sich als kostenspieliger Flop. Heute versucht Marktkauf, die dortige Filiale, die einzige im Ausland, abzustoßen.

Edeka will mit dem rigiden Sparprogramm, das bei den Mitarbeitern ansetzt, 2008 wieder »nachhaltig« die Gewinnzone erreichen. Marktkauf kündigt ferner an, künftig große Teile des Sortiments zu Diskountpreisen anzubieten. Ob Cash und Carry angesichts der nach wie vor wie Pilze aus den Boden schießenden Lidl-, Aldi- und Plus- Filialen allerdings die richtige Antwort ist, bleibt abzuwarten. Bisher war die Kundschaft des Marktkauf eher in der Mittelschicht angesiedelt, der neue Marktkauf wirbt beispielsweise mit extra vielen Bio-Produkten. Das mittelschichtige Klientel wünscht aber, wenigstens alle paar Regale auch mal einen Mitarbeiter zu sehen, denn man was fragen kann. Den Weg zu einem ordinären Supermarkt hat die Marktkaufkette aber schon länger eingeschlagen: Vorbei die Zeiten, in denen mit Dauerpreisen geworben wurde. Auch die offenbar obligatorische Rabattkarte, die den Kunden vorgaucket, sie könnten Geld sparen, hat längst im Marktkauf Einzug gehalten.

Offenbar will der Vorstand nun auch zehn der 150 Baumärkte schließen. Am liebsten hätte Edeka alle Marktkaufbaumärkte abgestoßen, nach Presseberichten fand sich aber kein Käufer. Auch die Optikerkette Krane, drittgrößter Brillen-Filialist und Marktkauftochter, steht laut Gerüchten bald zum Verkauf.