Webwecker Bielefeld: Letzter Aufruf zum Kofferpacken (06.09.2006)

Letzter Aufruf zum Kofferpacken (06.09.2006)



»Die Jugendlichen sind die Akteure«: Güler Arapi und Mitja Sabine Lück vom Geschichtsprojekt des Mädchentreffs



Von Manfred Horn

Der Bielefelder Mädchentreff und der Verein ›Blauschwung‹ packen die Koffer: Sie wollen mit Jugendlichen in die Geschichte reisen. Gemeinsam sollen die Reisebehältnisse dann beim Herbstcamp im Jugendhof Vlotho ausgepackt werden.

Gerade beginnt die Erforschung der Einwanderungsgesellschaft in der Bundesrepublik: »Darüber zerbrechen sich viele Erwachsene den Kopf. Wir aber wollen die Jugendlichen fragen«, sagt Mitja Sabine Lück, Mitarbeiterin des Mädchentreff in der Alsenstraße. Die Jugendlichen – dass sind junge Menschen zwischen 16 und 21 Jahren mit Migrationshintergrund oder auch ohne. Wobei die übliche Teilung kaum greift: »Fast alle Menschen haben eine Migrationsgeschichte«, weiß Lück. Dies fängt im kleinen an, denn längst nicht alle der heutigen Einwohner Bielefelds sind hier geboren: Migration beginnt beim Zuzug aus dem Lipperland und endet mit Ländern, die mehrere tausend Kilometer entfernt liegen.

»Wir wollen den Jugendlichen Spaß an der Auseinandersetzung mit Geschichte vermitteln«, sagt Güler Arapi, wie Lück Mitarbeiterin des Mädchentreff in deren Antirassismusprojekten. Beide wissen: Geschichte wird dann spannend, wenn die eigene Person eingebunden wird. Und das bedeutet, bei den Erfahrungen der Jugendlichen anzusetzen. »Wir betreiben subjektive Geschichtsschreibung. Dabei steht im Vordergrund, was die Geschichte eigentlich mit mir zu tun hat«, erklärt Arapi. Ausgangspunkt ist dabei der heutige Lebensort Bielefeld. Der Blick geht dann zurück bis in die Kolonialgeschichte. »Spannend wird es sein zu sehen, welche Bilder die Jugendlichen davon noch haben«, sagt Lück. Denn im herrschenden Mediendiskurs spielt die deutsche Kolonialgeschichte nur eine marginale Rolle. Auch in Bielefeld beginnt eine Aufarbeitung erst heute durch den Arbeitskreis ›Bielefeld Postkolonial‹ (WebWecker berichtete). Ein zweiter Schwerpunkt des Projektes wird die NS-Vergangenheit sein, um schließlich zur Einwanderungsgesellschaft Deutschland zu kommen.

 

Eigenes Erleben steht im Mittelpunkt

Die Jugendlichen sollen aber nicht Ergebnisse für eine wissenschaftliche Untersuchung liefern. Eine kleine Abschlussdokumentation wird zwar erstellt. Im Vordergrund stehen aber die Jugendlichen selbst. Deren Lust auf Geschichte, ihre eigene Geschichte soll geweckt werden. »Wir gehen davon aus, dass alle ihr eigenes, ganz unterschiedliches Gepäck mitbringen«, sagt Arapi. Herauskommen wird eine neue Geschichte, die wenig gemein hat mit den Diskursen in den Talkshows. Das Projekt versteht sich zudem als explizit antirassistisch. Der Blick auf die Geschichte geschieht also durchaus parteiisch im Sinne von Engagement gegen rassistische und rechtsextreme Haltungen.

Das geplante Herbstcamp im Jugendhof Vlotho soll bei allem politischen Anspruch kreativ werden. Also keine staubigen Vorträge sondern Action. Geschichtsaneignung durch etwa durch Theater spielen und Filme drehen stehen im Vordergrund. Das Herbstcamp findet in den Herbstferien vom 30. September bis 3. Oktober statt. Anmelden können sich Jugendliche beiderlei Geschlechts zwischen 16 und 21 Jahren. Unterkunft und Verpflegung sind kostenlos. Die Anmeldefrist beginnt erst jetzt, denn die Bewilligung der Fördermittel hat sich hingezogen. Der Bund trägt den größten Teil der Kosten aus dem Förderprogramm ›entimon‹, das sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus richtet. Das Programm läuft Ende des Jahres aus, der Bund will die Mittel zwar erhalten, aber umwidmen: Dann geht es nicht mehr alleine um rechte Gewalt, sondern um Gewalt überhaupt. Zudem soll die Zuständigkeit vom Bundesministerium für Familie, Frauen und Jugend zum Bundesinnenministerium verschoben werden.


Anmeldungen über den Mädchentreff, Alsenstraße 28, per Post oder Fax 0521. 329 21 21. Infos telefonisch unter 0521. 179450 oder im Netz unter www.maedchentreff-bielefeld.de

Geplant sind im Rahmen des Projektes weitere Workshops in Bielefeld und Berlin, teilweise in Kooperation mit Schulen

Der Mädchentreff muss einen Eigenanteil an dem Projekt finanzieren, Spenden dafür sind willkommen: Mädchentreff Bielefeld, Stichwort Geschichtsprojekt, Sparkasse Bielefeld, Bankleitzahl 480 501 61, Konto: 11 35 71

Weitere Informationen über den Mitveranstalter Blauschwung: www.blauschwung.de