Webwecker Bielefeld: Vom Objekt zum Subjekt (27.09.2006)

Vom Objekt zum Subjekt (27.09.2006)



Geburtshelfer Holger Menze: Das ver.di Bildungshaus in Lage-Hörste war der Startort für die Koordinierungsstelle


Von Manfred Horn

Der Förderverein der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) feiert seinen 20. Geburtstag. Lange hat es gedauert, bis die Gewerkschaften in Arbeitslosen eine Zielgruppe entdeckten und die Wechselwirkungen zwischen der Zahl der Arbeitslosen und den Möglichkeiten der Gewerkschaften, bessere Tarife durchzusetzen, begriffen. Heute vernetzt die KOS 460 gewerkschaftlich-orientierte Arbeitslosengruppen bundesweit.

Am vergangenen Mittwoch bei der Jahrestagung der KOS im Jugendgästehaus in Bielefeld wurde dann auch ein bisschen gefeiert. Dass die Tagung in Bielefeld stattfand, war nicht ohne Grund: Denn bis vor drei Jahren war KOS im DGB-Haus in der Marktstraße angesiedelt. Die Geschichte der KOS beginnt 1982. Zwei Millionen Arbeitslose hatte die damalige Bundesrepublik. Haberbeck, eine große Druckerei in Lage, machte dicht. 270 Leute werden entlassen, nur 80 Beschäftigte landen in einer Auffanggesellschaft, der große Rest steht auf der Straße. Die damalige IG Druck und Papier, die später zur IG Medien wurde und heute in ver.di aufgegangen ist, machte mobil: In Lage demonstrierten die Beschäftigten, trugen gar einen Sarg durch die Straßen vors Rathaus. »Am Tag der Demonstration gründeten wir eine gewerkschaftliche Arbeitsloseninitiative«, erinnert sich Holger Menze, damals Leiter der IG Druck Bildungsstätte in Lage-Hörste und heute Referatsleiter bei der ver.di Bundesvorstandsverwaltung.


In der Friedenseiche wuchs die Unruhe

Viele Familien in Lage waren damals betroffen, neue Arbeitsplätze waren rar. Wöchentlich traf man sich in der in der Dorfkneipe ›Friedenseiche‹. Die Unruhe nahm nicht ab. Schnell kam die Frage auf: Wie gehen eigentlich andere damit um? Damals gab es bereits um die 100 Arbeitsloseninitiativen bundesweit. Der Grad der Vernetzung allerdings war gering, 1983 fand immerhin ein erster Bundeskongress statt. Gewerkschafter waren dabei, Gewerkschaften als Organisationen aber zeigten wenig Interesse. »Ganze Belegschaften sind auf die Straße gesetzt worden. Aus den Arbeitseinheiten wurden dann Erwerbsloseninitiativen«, erinnert sich Menze. Häufig mit den ehemaligen Betriebsräten an der Spitze. Der DGB hingegen hielt daran fest, die Interessen derjenigen zu vertreten, die noch in Lohn und Brot waren. »Der letzte Erwerbslosenkongress der Gewerkschaften datierte auf 1951«, weiß Menze.

Die Erwerbslosengruppe in Lage war die Keimzelle für eine gewerkschaftliche Vernetzung. Menze trieb sie von der Bildungsstätte in Lage-Hörste aus voran. Er lud bundesweit ein. Von 50 Initiativen erschienen Mitglieder, das Haus war mit 120 Gästen überbelegt. »Die schliefen damals sogar im Keller«, erinnert sich der ehemalige Hausleiter. Eine Woche lang wurde heftig diskutiert, und die Koordinierungsstelle geboren. Wie damals üblich, ging es erst mal darum, eine ABM-Stelle zu bekommen. Uwe Kantelhardt, damals frisch mit seinem Soziologiestudium an der Uni Bielefeld fertig, wurde als Zivildienstleistender des Hauses in Lage-Hörste damit beauftragt, die Struktur zu entwickeln. Das wichtigste Ergebnis war der Förderverein, der 1986 ins Leben gerufen wurde.

Heute finanziert sich die Koordinierungsstelle neben Mitgliedsbeiträgen und Spenden vor allem durch DGB-Geld. In den 1980ern waren es vor allem die IG Druck und Papier und die IG Metall, die als erste Geld gaben. Die Finanzierung blieb über all die Jahre wackelig, 2002 kam es gar zu einer ausgewachsenen Krise, als die öffentlichen Mittel ausliefen. 2003 dann zog das Büro von Bielefeld, wo es von 1991 bis 2003 angesiedelt war, nach Berlin. Die Themen sind KOS auch in Berlin nicht ausgegangen – der Glaube an Vollbeschäftigung, der noch in den 1980ern existierte, zwischenzeitlich vollkommen verloren gegangen. Seit 2003 ist das Arbeitslosengeld-II (Alg-II) ein Dauerbrenner. Aktuell plant die KOS eine Kampagne mit dem Titel »Einkommen zum Auskommen«. Ein deutlich höheres Alg-II soll durchgesetzt werden, das »wirksam vor Armut schützt«.


»Bei jeder Tarifrunde sitzt die Arbeitslosigkeit mit am Tisch«

Neben Holger Menze gratulierte Annelie Buntenbach am vergangenen Mittwoch der KOS. Die Bielefelderin im DGB-Bundesvorstand steht für die Verbindung der Gewerkschaften zu sozialen Bewegungen. »Früher wurden in den Diskussionen Arbeitsplatzbesitzer und Arbeitslose gegeneinander ausgespielt, als wenn sie nichts miteinander zu tun hätten«, berichtet sie. Dabei könne jeder jederzeit arbeitslos werden. Jedes zehnte Gewerkschaftsmitglied ist heute arbeitslos.

Politisch sitzt die Arbeitslosigkeit bei jeder Tarifrunde mit am Tisch, sagt Buntenbach. Mehr Arbeitslose bedeuteten mehr Möglichkeiten zum Lohndumping, da die Arbeitgeber mit den Arbeitslosen drohen können, die für weniger Geld das gleiche machen könnten wie die Beschäftigten. »Die Notsituation der Arbeitslosen wird da missbraucht«, sagt Buntenbach. Seit Hartz IV sei das Verständnis in den Gewerkschaften aber größer geworden. Hier leiste die Koordinierungsstelle eine wichtige Arbeit. Buntenbach weiß, das nur der Austausch mit den Betroffenen dafür sorgt, dass diese nicht länger als Objekt sondern als Subjekt wahrgenommen werden.

 

Mehr Informationen: http://www.erwerbslos.de



Brachte den Jubliläumsgästen ein Geburtstagsständchen in Form eines kurzen Vortrags: Annelie Buntenbach