Webwecker Bielefeld: »Und bist Du nicht billig...« (11.10.2006)

»Und bist Du nicht billig...« (11.10.2006)



Hartz IV macht die Runde. Kaum sind Kürzungen und Einschränkungen beschlossen, wird schon wieder über neue diskutiert. Im Moment tut sich vor allem die CDU damit hervor. Martin Künkler, Mitarbeiter der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen, berichtet über die jüngsten Einschnitte und ihre Auswirkungen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger (ALG-II).


»Das darf doch nicht wahr sein«, denkt Jutta Möller, als sie ihren Leistungsbescheid sieht. Ihr wurde ein deutlich gekürztes ALG II von nur 218 Euro bewilligt. Mit ihrem  Mitbewohner Sven Lang bilde sie eine »Einstehensgemeinschaft"« schreibt der Sachbearbeiter, daher müsse sie sich dessen Einkommen anrechnen lassen. Jutta und Sven wohnen zwar in der gleichen Wohnung und verstehen sich bestens. Aber finanziell füreinander einstehen? So haben die beiden nicht gewettet.

So wie Jutta und Sven wird es künftig vielen gehen. Denn seit dem 1. August dürfen die örtlichen Ämter schon dann eine »Einstehensgemeinschaft« vermuten, wenn zwei Personen länger als ein Jahr zusammenleben. Das Einkommen des vermeintlichen »Partners« wird dann angerechnet.

 

Bedarfsgemeinschaft der Geringverdiener

Auch das Familienleben wird komplizierter. Schon seit dem 1. Juli bilden unter 25-jährige ALG-II-Berechtigte eine »Bedarfsgemeinschaft« mit ihren Eltern. Die Eltern müssen dann jeden vorhandenen Euro Einkommen teilen und für den Lebensunterhalt ihrer volljährigen Kinder einsetzen. Im Unterhaltsrecht galten bisher Freibeträge von etwa  1.100 Euro für einen erwerbstätigen Elternteil. Beim ALG II werden jetzt auch geringere Einkommen  geschröpft.

Zuvor hatten Vertreter der großen Koalition ein Phantom-Problem herbei geredet: Es könne nicht angehen, dass »die Allgemeinheit« Kindern aus »wohlhabendem Elternhaus« den Auszug einschließlich Möbelwagen und Flachbild-Fernseher bezahle. Wer wollte widersprechen? Doch tatsächlich trifft die Neuregelung nicht die Wohlhabenden, sondern geringverdienende Arbeitnehmerhaushalte besonders hart. Auch Eltern, die nur über ein geringes Einkommen verfügen, müssen nun für ihre erwachsenen Kinder finanziell geradestehen und ihren bescheidenen Lohn auf mehr Köpfe aufteilen.

 

Strafgesetzbuch für Erwerbslose

Drastische Sanktionen hat der Bundestag für den Jahresbeginn 2007 beschlossen. Dann gilt eine einjährige Bewährungszeit für Erwerbslose, in der »Fehlverhalten« aufaddiert und als »Wiederholungsfall« hart bestraft wird. In der Praxis muss ein Erwerbsloser nicht einmal eine Stelle abgelehnt haben. Schon wer eine Eingliederungsvereinbarung nicht unterschreibt, in der sinnlose Blindbewerbungen gefordert werden, und anschließend einen 1-Euro-Job ablehnt, steht ohne Leistungsanspruch dar. »Wiederholungstäter« sind nach der Neuregelung Erwerbslose, deren einziges »Fehlverhalten« darin besteht, auf einem regulären, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis zu bestehen. Bereits beim zweiten Wiederholungsfall wird dann das ALG II, einschließlich der Leistungen für die Warmmiete für die Dauer von drei Monaten, komplett gestrichen. Bei unter 25-Jährigen gilt der vollständige Leistungsentzug bereits im ersten Wiederholungsfall. Die Einführung derart verschärfter Sanktionen macht aus dem Sozialgesetzbuch ein Strafgesetzbuch für Erwerbslose.

Solidarische und wirksame Rezepte gegen die Massenarbeitslosigkeit hat Schwarz-Rot dagegen nicht auf dem Zettel. Vielmehr zieht sich durch die lange Geschichte der Einschnitte aus diesem Sommer vor allem ein roter Faden: Erwerbslose sollen möglichst aus dem ALG-II-Bezug herausgedrängt werden. Statt ihnen ernsthafte Angebote zu machen, sollen die »Überflüssigen« nur billiger werden. Dabei wird eine zunehmende Verarmung und eine gespaltene Gesellschaft bewusst in Kauf genommen.

Mit jeder weiteren Kürzung bei Erwerbslosen steigt auch der Druck auf die Löhne. Das ALG II erzeugt in den Betrieben ein Klima der Angst. Denn durch die Zerstörung eines letzten existenzsichernden Netzes droht bei jeder längeren Arbeitslosigkeit der soziale Absturz ins Bodenlose. Not macht erpressbar und das ALG II ist die Drohkulisse, die von der Regierung gegen die Beschäftigten in Stellung gebracht worden ist.


Der DGB ruft für den 21. Oktober zu Aktionen gegen Sozialabbau auf. Demonstrationen werden in Berlin, Dortmund, München, Stuttgart und Frankfurt stattfinden. Der DGB in OWL organsiert Busse nach Dortmund:

Abfahrtszeiten aus der Region Ostwestfalen/Bielefeld:

8:00 Uhr Lübbecke, Parkplatz Stadthalle, Rahdenerstr.
8:00 Uhr Minden, Kanzlersweide
8:30 Uhr Löhne, Noltestr. Ecke Brunnenstr.
8:30 Uhr Herford, Theaterplatz
9:00 Uhr Bielefeld, Radrennbahn, Heeperstr.
9:00 Uhr Bielefeld, Busbahnhof, Kesselbrink
9:00 Uhr Bielefeld, Senne/ Wendeschleife
9:15 Uhr Gütersloh, Marktplatz
9:15 Uhr Rietberg, Rietbergwerke
9:30 Uhr Rheda, Bahnhof

Eine Anmeldung bei den Einzelgewerkschaften ist vorab erforderlich. Mehr Informationen: www.bielefeld-dgb.de