Webwecker Bielefeld: Der Putz bröckelt (08.11.2006)

Der Putz bröckelt (08.11.2006)



Früher das Büro des Geschäftsführers der Kreissparkasse, heute Bibliotheksraum. Selbst die Uhr von damals ist noch erhalten. Harald Pilzer (links) erklärt Pit Clausen die Lage


Von Manfred Horn

Die Stadtbibliothek am Jahnplatz ist ganz schön in die Jahre gekommen. An der Fassade des Verwaltungsteils bröckelt der Putz, viele Räume strahlen den Charme der 1970er Jahre aus. Eine moderne Bibliothek würde anders aussehen.

 

Nachdem der Umzug in eines anderes Gebäude, angedacht war das ehemalige Haus des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes an der Alfred-Bozi-Straße, geplatzt ist, waren einige führende Sozialdemokraten der Stadt in der vergangenen Woche bei einem Ortstermin, um sich von der Bibliotheksleitung die Lage erklären zu lassen.

Bibliotheksleiter Harald Pilzer nutzte die Gelegenheit, um vor allem auf die mangelnde Fläche hinzuweisen. In anderen Städten mit ähnlicher Einwohnerzahl gebe es Stadtbibliotheken mit 6.000 bis 8.000 Quadratmeter, in Münster sind es gar 9.700 Quadratmeter, die in einem 1993 erstellten Neubau untergebracht sind. Die Bielefelder Zentralbibliothek bringt es gerade mal auf 3.000 Quadratmeter. Viel zu wenig, findet Pilzer. »Wenn wir hier Veranstaltungen machen, finden die praktisch zwischen den Büchern statt«.

Folge von Geld- und Platzmangel sind auch die Fünffach-Regale, in denen die Bücher stehen. Das unterste Regalbrett findet sich gerade mal 25 Zentimeter über dem Boden – sicherlich nicht demografiewandelfest. Zu den Hauptnutzern zählen heute allerdings noch Jugendliche, rund die Hälfte ist unter 18 Jahren. Für die aber steht nicht genug Fläche zur Verfügung. »Ein großer Kommunikationsraum wäre wichtig, auch um die jugendlichen Migranten miteinbeziehen zu können«, sagt Pilzer.

Im Prinzip handelt es sich bei der Zentralbibliothek immer noch um ein auf die Bedürfnisse des Geldverkehrs zugeschnittenes Gebäude. Denn früher, vor 1978, war die Kreissparkasse in dem Gebäude untergebracht. Vieles ist noch erhalten, vom Tresor bis zu den dezenten, in dunkelbraun gehaltenen Stauräumen in den ehemaligen Büros. Helmut Steiner hat früher selbst in der Kreissparkasse gearbeitet, heute ist er Vorsitzender des Fördervereins der Stadtbibliothek. Der ehemalige Sparkassenchef kann noch heute problemlos sein Büro wiedererkennen, nur die Waschgelegenheit wurde demontiert.

Dabei hat sich die Stadtbibliothek in den vergangenen Jahren gut entwickelt. Trotz voranschreitender Indivudualisierung und Digitalisierung – es kommen wieder mehr Menschen, um sich Medien auszuleihen. Pilzer geht von 1,3 Millionen Entleihungen für 2006 aus, ein deutlicher Anstieg. 2004 waren es nur gut eine Millionen Entleihungen. Rund zwei Drittel der Ausleihen entfallen dabei auf die Zentralbibliothek, der Rest entfällt auf die Bibliotheken in den Stadtteilen. In den vergangenen Jahren nur leicht gestiegen ist die Zahl derjenigen, die über einen Bibliotheksausweis verfügen: 2005 waren es gut 23.000 Bielefelder, weniger als noch in den 1990er Jahren. Praktisch bedeutet dies, dass vor allem die Zahl der Ausleihen pro Nutzer deutlich steigt.

Die SPD nun will über die Zukunft der Stadtbibliothek beraten. Vom Tisch scheint dabei der Umzug der Zentralbibliothek. Ansonsten ist alles offen, bis hin zur völligen Entkernung des Gebäudes. Auch möglich: Die Stadtbibliothek wird größer, indem freie Geschäftsflächen in der benachbarten Arkade dazugemietet oder –gekauft werden.


Gefährlicher  Rost hinter der  Fassade

Der Immobilien-Service-Betrieb (ISB) der Stadt seinerseits sieht enormen Investitionsstau. Als im vergangenen Jahr über dem Eingang an der Wilhelmstraße anlässlich des 100-jährigen Jubiläums eine Reklame mit dem schönen Slogan ›Lesen, lernen, leben‹ aufgehängt wurde, wurden enorme Schäden an der Aussenfassade festgestellt. Die führt nämlich inzwischen ein Eigenleben durch Korrosion: Die Marmorplatten sind allesamt aufgehängt. Doch zwischen Marmor und Wand ist Wasser gelaufen, die Aufhängungen sind kräftig am rosten.

Eine Grundrenovierung veranschlagt die Architektin Monika Melchior vom ISB auf rund 3,3 Millionen Euro. Damit würden aber nur die nötigsten Dinge an der Bausubstanz ausgebessert, wie etwa neue Stromleitungen. Weitere 1,2 Millionen Euro würde es kosten, auch die sichtbare Bibliothek als solche aufzuwerten.


RFID für mehr Platz und weniger Personal

Pilzer schlägt vor, künftig auf ein Selbstausleihverfahren zu setzen. Die Kunden würden mittels RFID-Technik ihre Bücher selbst ausleihen und zurückgeben, indem die Daten per Funk ausgelesen würden. Personal wäre dort nicht mehr nötig und die Fläche, die für die Buchungen nötig ist, könnte erheblich verkleinert werden. Damit wäre mehr Platz für die eigentliche Bibliothek vorhanden. »Inzwischen gibt es akzeptierte Modelle, die nicht gleich Big Brother is watching you bedeuten«, sagt Pilzer zur RFID-Technik, wohl wissend, das diese in der Kritik steht, die Persönlichkeitsrechte der Bürger zu beschneiden.

Eine moderne Bibliothek würde aber auch dauerhaft höhere Kosten nach sich ziehen. Der Bestand müsste schließlich dem Gebäude gerecht werden. Schon seit Jahren hat die Stadtbibliothek viel zu wenig Geld für Neuanschaffungen. Gerade mal 60 Cent pro Einwohnerkopf, viel zu wenig, um auf dem Laufenden zu bleiben. Zwar sind in den vergangenen Jahren Personalmittel zugunsten des Erwerbungsetats umgeschichtet worden, die Zahl der Mitarbeiter von 56 auf 50 reduziert. Doch ohne Drittmittel, Geld das von der Sparkassenstiftung, dem Förderverein der Stadtbibliothek und anderen Unternehmen und Vereinen kommt, sehe es düster aus. Ein Drittel der Ausgaben für Medien kommen inzwischen aus Drittmitteln. Perspektivisch müssten die Ausgaben der Stadt wohl von 60 Cent auf ein Euro pro Einwohner hochgefahren werden.

Einig waren sich die Besucher über die enorme Bedeutung der Stadtbibliothek, die Hiltrud Böcker-Lönnendonker von der SPD-Fraktion gleich auf Platz 2 nach dem Stadttheater setzte. Eine Frage der Perspektive, für Menschen mit wenig Geld ist sie sicher wichtiger als das Stadttheater.  Rainer Ludwig, der kurz nach der Visite in der Stadtbibliothek aus dem Amt schied, hatte noch ein paar allgemeine wie richtige Worte zum Abschluss parat. Er appelierte an die Politik, das Haus nicht aus den Augen zu verlieren. Er riet dringend sich auf den bisherigen Standort »zu versteifen« und zügig zu Werke zu gehen und das Gebäude nicht verkommen zu lassen. Die SPD will in Sachen Stadtbibliothek die Zügel in die Hand nehmen und Vorschläge in den Rat bringen.


Das Glasdach als Markenzeichen. Man darf gespannt sein, wie ernst Vorschläge gemeint sind, hier eine Zwischenetage einzuziehen



Die Aussenfassade des Verwaltungstrakts hat auch schon mal mehr Farbe gesehen