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It's a Free World

Von Harald Manninga

Vor zwei Jahren brachte sich Regisseur Ken Loach mit The Wind that Shakes the Barley einem größeren Kino-Publikum ziemlich wuchtig in Erinnerung. Etwas untypisch für »übliche« Loach-Themen bearbeitete er damals ein Stück der Geschichte Irlands im frühen zwanzigsten Jahrhundert mit großer Ausstattung und großen Stars wie James McAvoy. Für diesen Film bekam er seinerzeit in Cannes die »Goldene Palme«. In seinem neuen Film ist er wieder näher an seinen Wurzeln: Mit einem low-budget Film mit unbekannten (Theater-)Schauspielern und in England.

Angie arbeitet am Anfang des Films noch in einer Jobvermittlung. Das ist dann die werweißwievielste Stelle in dieser Branche und auch sonstwo, den die Alleinerziehende (ja, das auch noch) gehabt und verloren hat. Diesmal übrigens, weil sie sich nicht von ihrem Chef an den Arsch fassen lassen wollte. Doch sie kennt sich ja in der Jobvermittlerei aus, darum macht sie zusammen mit ihrer Freundin Rose eine eigene Vermittlungsfirma auf.

In kürzester Zeit läuft der Laden sogar auch ziemlich gut, denn Angie ist auch ein großes Akquisetalent und labert ihren Kunden, den Arbeitgebern, eine Kante nach der andern ans Knie. Und den anderen Kunden, den Arbeitssuchenden auch. Private Jobvermittlung ist ein Knochenjob in Großbritannien, vor allem in dieser unserer Gesellschaft von Knochenbrechern. Aber ja, sie kennt das Business eben; und so wird auch sie zur Knochenbrecherin, nach und nach fallen immer mehr Skrupel. Man kann ja zum Beispiel immer mal ein bisschen mehr von den Tagelöhnen der Tagelöhner abknapsen und für sich behalten. Insbesondere die Leute mit falschen Papieren machen das Spiel leichter: Die haben nämlich Angst und mucken nicht auf. Angie wittert das große Geschäft.

Nicht nur das Arbeitsleben, das ganze Leben im heutigen (?) England ist ein Knochenjob. Im Land, in dem der Kapitalismus (Manchester...) einst mit Macht erfunden wurde, hat sich seit der industriellen Revolution wohl nicht ernstlich etwas verändert.

Ken Loach beweist hier einmal mehr seine Meisterschaft in der Kommentierung gesellschaftlicher Zustände. Seine Protagonisten sind keine Helden, sie sind Menschen, die versuchen, sich mit den Zeitläuften zu arrangieren. Dabei können sie (natürlich) nicht anders, als sich diesen Zeitläuften anzupassen: In einer Gesellschaft voller Raubtiere wird man besser selbst zum Raubtier, sonst wird man zerfleischt. Ebenso anklagend wie (ja, doch, gerade noch auch:) verständnisvoll für das Schicksal des Einzelnen, Kleinen zeichnet Loach nach dem Drehbuch von Paul Laverty (der auch schon The Wind that Shakes the Barley geschrieben hatte) die Strukturen einer Welt nach, die von oben bis nach ganz unten keine Solidarität und wirkliche mitmenschliche Verantwortung mehr kennt. Wenn sie sie jemals kannte.

Packend erzählt ist das und lässt kaum eine Bedrohung aus, bis dahin, dass Angies um ihren Lohn geprellten Leiharbeiter sich dann wehren. Und nur wollen, was ihnen zusteht. Nichts für schwache Nerven. Und aber genial gemacht: Mit einem Mann als Protagonisten hätte der ganze Film wohl nicht funktioniert. Auf jeden Fall wäre er über über gerade mal eine erzählerische Dimension nicht hinausgekommen.

Auch bei der Besetzung beweist Loach wieder sein unfassbar treffsicheres Auge: Die Angie wird zum Beispiel gespielt von Kierston Wareing, Engländerin, Absolventin des New Yorker Strasberg-Instituts, jahrelang als Schauspielerin mehr oder weniger arbeitslos gewesen und kurz davor, diesen Beruf aufzugeben, um sich als Sekretärin zu verdingen... Gut, dass sie sich das nochmal überlegt hat: Für ihre Angie wurde sie beim British Independent Film Award gleich zwei Mal, nämlich als Beste Hauptdarstellerin und Beste Nachwuchsdarstellerin nominiert.

Ebenso treffsicher und auf den Punkt genau ausgesucht sind die anderen Spielerinnen und Spieler, wie Juliet Ellis als »Rose« oder der junge Pole Leslaw Zurek als »Karol«.

Ken Loach ist zur Zeit wohl der Großmeister des politischen Erzähl-Kinos. Und beweist auch diesmal wieder, dass er zu Recht als solcher gefeiert wird.

It’s a Free World (GB 2007, 92 Min.) von Ken Loach läuft ab dem 27.11. in Bielefeld im Lichtwerk.