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Ganz oder (un)gar oder nicht? (Offene Ganztags-Grundschule, 09.04.2003)



Werkstattgespräch der Grünen
Hurrelmann (erster von rechts): »Hier kommt man nur durch Zwischenschritte weiter«





Bis 2007 sollen nach dem Willen der rot-grünen Landesregierung ausgewählte Grundschulen zu Offenen Schulen werden, danach die Horte abgeschafft werden. Das Konzept ist noch nicht fertig und sorgt für Unsicherheit. Bei einer Veranstaltung im Murnau-Saal kamen vorallem Argumente für die neue Schule zur Sprache






Von Manfred Horn


Am 15. Februar hat das Ministerium für Schule, Jugend und Kinder unter der SPD-Ministerin Ute Schäfer erlassen, die Offene Ganztags-Grundschule (OGG) einzurichten. Spätestens seitdem herrscht Verunsicherung, was auf SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen, PädagogInnen und ErzieherInnen zukommt. Eine mit 120 Interessierten gut besuchte Veranstaltung der Bielefelder Grünen am Dienstag Abend im Murnausaal brachte etwas Licht in einen Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist.

Die OGG ist eine Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden bei der PISA-Studie und will ein erster Schritt zur Reform des Schulwesens in NRW sein. Wesentlich ist die Ausweitung des Angebots am Nachmittag auf freiwilliger Basis. Bis 2007 nehmen nur ausgewählte Schulen teil, ab 2007 soll das neue System dann flächendeckend eingeführt werden. Ein fertiges Konzept indes gibt es noch nicht, die rot-grüne Landesregierung befindet sich noch im Prozess. Aus Bielefeld gibt es bislang fünf Bewerbungen, zwei Schulen werden letztlich ab dem kommenden Schuljahr teilnehmen können.

Der Wissenschaftler Klaus Hurrelmann von der Uni Bielefeld begrüßte die Idee der OGG. Es gebe einen Trend in den industrialisierten Ländern hin zu professioneller Erziehung, die Familie werde zurückgedrängt. Dieses hänge mit der immer größer werdenden Berufsmobilität Erwachsener zusammen. In anderen Ländern hingegen sei das Schulangebot schon längst wesentlich umfassender und auch Betreuung und Unterricht am Nachmittag eine Selbstverständlichkeit. Hurrelmann stellte für die deutsche Gesellschaft einen Modernitätsrückstand fest. Nach seinen Vorstellungen sollte Schule nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch erziehen. Ansätze dazu habe es bereits in den 1920er Jahren mit der Reformschulpädagogik in Landerziehungsheimen gegeben, doch diese Entwicklung sei durch den Nationalsozialismus gebrochen worden. Heute hätten in Deutschland maximal zehn Prozent aller Kinder bis zur Jahrgansstufe 9 einen außerhäuslichen Lern- und Erziehungsplatz, der nicht schon um 13 Uhr ende.

Eine Schule mit einem Nachmittagsangebot sei da ein Schritt in die richtige Richtung. Ziel müsse jedoch die selbstständige Schule sein, die ein Ganztagsangebot unterbreite. In dieser Zukunftsschule könnten pädagogische, fachliche, jugend- und sozialpolitische Aspekte mit Feldern der Ernährung, Motorik und Kreativität zusammen kommen. Eine Schule von »9 bis 4« könne mit Belastung und Entspannung arbeiten, besondere Übungs- und Fördermaßnahmen bereit halten, neue Formen gegenseitigen Lernens organisieren. Wesentlich sei auch die Mittagsverpflegung: »Eine der wichtigsten zeremoniellen Handlungen«. Man müsse allerdings aufpassen, dass das Modell der OGG sich auch in diese Richtung entwickele und sich nicht zum dauerhaften Status Quo entwickle. Und Hurrelmann lehnte ganz deutlich die simple Ausweitung des Unterrichts auf den Nachmittag ab: »Eine Halbtagsschule, die sich auf den ganzen Tag ausdehnt: Da mache ich nicht mit«.