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Bertelsmann war kein Widerstandsverlag



Bis 1998 verkaufte sich der Bertelsmann-Verlag aus Gütersloh als widerständig gegen das ›Dritte Reich‹. Am Montag veröffentlichte eine unabhängige Historikerkommission ihren Bericht: Bertelsmanns Aufstieg ist eng mit der Anpassung an den Nationalsozialismus verbunden.


Von Manfred Horn

1998 erklärte Thomas Middelhof, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG: »Ich schätze mich sehr glücklich, für ein Unternehmen zu arbeiten, das sich schon immer eingesetzt hat für die Freiheit der Religionen und der Rassen. Während des zweiten Weltkriegs haben wir Bücher publiziert, die vom Dritten Reich als ›subversiv‹ verboten wurden. Die fortlaufende Existenz von Bertelsmann war eine Bedrohung für die Nazis bei ihrem Versuch, die Meinungsfreiheit unter ihre Kontrolle zu bringen«. Hintergrund der weißwaschenden Worte war die Bertelsmann-Übernahme der Verlagsgruppe ›Random House‹ in den USA. ›Random House‹ war eine ehemalige jüdisches Unternehmen, und so hielt es Middelhof für angebracht, einen Widerstandsmythos zu verlautbaren. Doch auf Grund von Recherchen des WDR-Magazins ›Monitor‹ wurde 1999 einer breiten Öffentlichkeit bekannt, was Middelhof wohl wissentlich verschwiegen hatte: NS-Propaganda war wesentlicher Bestandteil des Bertelsmann-Verlagsprogramms in den Jahren der NS-Diktatur.

Bertelsmann reagierte bereits 1998 auf die vor allem vom Soziologen Hersch Fischler vorgebrachten Zweifel an der Widerstandsgeschichte und berief eine unabhängige Historikerkommission (UHK) ein. Diese leitete der israelische Historiker Saul Friedländer. Am Montag stellte die Kommission die Ergebnisse der Öffentlichkeit vor, in zwei Büchern veröffentlicht der Bertelsmann-Verlag nun seine eigene NS-Firmengeschichte.

Bereits 1933 produzierte Bertelsmann »Sterilisation und Euthanasie«, ein Buch, in dem die Euthanasiepolitik des NS-Regimes gerechtfertigt wurde, zahlreiche Titel folgten: »Der kleine Katechismus für den braunen Mann« oder Herbert Volcks »Rebellen um Ehre«. Tatsächlich arbeitete Bertelsmann nicht gegen die NS-Diktatur, sondern pflegte enge Beziehungen vom NS-Propaganda-Ministerium. Bertelsmann war mit Abstand der größte Produzent von Wehrmachtsliteratur. Mit 19 Millionen Exemplaren habe Bertelsmann mindestens ein Viertel aller Bücher für die Front hergestellt.

Während der Recherche war die Quellenlage für die UHK schwierig: Bertelsmann selbst verfügt nur über ein kleines Archiv aus dieser Zeit. »Fast völlig fehlen Autorenkorrespondenzen und Autorenverträge sowie Briefwechsel mit staatlichen Stellen und Organisationen – teils wohl aufgrund von Kriegseinwirkungen, teils aber auch aufgrund späterer Vernachlässigung und Kassation«, formuliert die UHK in ihrem Abschlussbericht. Der UHK blieb nichts anderes übrig als vorwiegend auf Fremdarchive zurückzugreifen, die firmeneigenen Unterlagen machten letztlich nur zehn Prozent des zur Verfügung stehenden Materials aus. Hervorgehoben werden hierbei vor allem die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten aus den vierziger Jahren, die es laut UHK ermöglichten, die Unternehmensaktivitäten während des Krieges teilweise zu rekonstruieren. Neben archivarischen Quellen nutze die UHK vor allem Gespräche mit ZeitzeugInnen und Verlagspublikationen, um das Bild des Verlages von 1933 - 1945 zu rekonstruieren.