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Zufluchtstätte vor dem Aus (Teil 1)



Nicht nur der Frauennotruf, auch das Mädchenhaus in Bielefeld ist von geplanten Einsparungen im Landeshaushalt für 2003 bedroht. Die Zufluchtstätte des Mädchenhauses müsste ihre Türen schließen, wenn die Kürzungen wie geplant durchkommen. Doch die Mitarbeiterinnen der Zufluchtstätte kämpfen für ihre Einrichtung.



Ab 2003 will das Land nach einem Referentenentwurf des Landesministeriums für Familie, Kinder, Jugend und Gesundheit 102.258 Euro weniger an die Zufluchtstätte des Mädchenhauses Bielefeld überweisen. »Damit ist das ganze Angebot gefährdet«, hebt Michaela Klee, Mitarbeiterin des Hauses hervor. Die Landesmittel machen zur Zeit 18 Prozent des Etats aus – den überwiegenden Teil der Einnahmen erzielt die Zufluchtstätte durch Pflegesätze, die die Jugendämter für die in der Zufluchtstätte betreuten Mädchen überweist.

In ganz Nordrhein-Westfalen existieren nur drei Zufluchtstätten. Anders als die Häuser in Duisburg und Düsseldorf ist die Bielefelder Einrichtung die einzige in autonomer Trägerschaft. »Wir kommen aus der Tradition der autonomen Frauenbewegung«, sagt Klee. Aus dieser Geschichte und hoher Qualifikation der ausschließlich weiblichen Mitarbeiterinnen ergebe sich ein spezifischer Blickwinkel beispielsweise auf Mädchen mit Migrationshintergrund. Das Haus habe daraus einen interkulturellen Ansatz entwickelt. Das Angebot der Zufluchtstätte sei wichtig, weil es den betroffenen Mädchen ein parteiisches, unbürokratisches und kompetentes Hilfenetzwerk zur Verfügung stelle.

Zur Zeit bietet die Zufluchtstätte maximal zwölf Mädchen einen vorübergehenden Platz an. Den Mädchen, die es zu Hause nicht mehr aushalten, wird aber nicht nur Unterkunft gegeben, sondern auch umfassende Betreuung und Beratung. »Wir sind rund um die Uhr für die Mädchen da«, sagt Klee. Als Baustein des Mädchenhauses kann die Zufluchtstätte den Mädchen vielfältige Angebote machen, die auf aktuelle Krisenintervention und Perspektivplanung zielen. »Es kommt vor, dass ein Mädchen auf Grund der intensiven Beratung nach acht Wochen sagt: Ich gehe doch wieder nach Hause«. Die Entscheidungszeit sei auf Grund der intensiven Beratung kürzer, für die Kommunen teure, stationäre Aufenthalte in Wohngruppen als Anschluss an die Zufluchtstätte könnten häufig vermieden werden.

»Wir stoßen auch auf struktureller Ebene einiges an«, ergänzt Klee. Zu vielen aktuellen Fragen – beispielsweise dem unterschiedlichen Umgang mit Mädchen und Jungen, lesbischen Mädchen und Jugendhilfe oder Mädchen mit Migrationshintergrund – hätten die Mädchenhäuser und Zufluchtstätten in den vergangenen Jahren Konzepte erarbeitet. Diese Kompetenz werde landesweit von anderen Institutionen und dem Land selbst immer wieder genutzt, die Zufluchtstätte werde mittlerweile als Fachstelle für Mädchenthemen in Anspruch genommen.

Den Bedarf an der Zufluchtstätte zeigt die Belegungsstatistik auf, circa die Hälfte der Mädchen kommt nicht aus Bielefeld, sondern aus der ganzen Region. Zwar haben alle Mädchen einen rechtlichen Anspruch auf Schutz und jede Region hat ihre Schutzstellen mit angegliederten Wohngruppen, doch diese arbeiten teilweise noch mit gemischtgeschlechtlicher Unterbringung und sind nicht anonym. Anonymität aber sei wichtig, betont Klee. Damit werden zum Beispiel von Zwangsverheiratung bedrohte Mädchen dem Zugriff ihrer Familie entzogen. Keine Seltenheit in der Zufluchtstätte, sind doch vor allem Mädchen mit Migrationshintergrund davon betroffen. Und die machen rund 50 Prozent der in der Zufluchtstätte untergekommenen Mädchen aus.