Webwecker Bielefeld: kleinsteuber01

Der Blick wird immer kürzer (07.07.2004)



Hans J. Kleinsteuber
Kleinsteuber: Narrative Strukturen nötig, um überhaupt noch was rüberbringen zu können



Anlässlich der Mitgliederversammlung von ›Arbeit und Leben NRW‹ sprach der Medienexpterte Hans J. Kleinsteuber über die Entwicklung der Medien und deren gesellschaftliche Wirkungen




















Von Manfred Horn

Am vergangenen Donnerstag traf sich die Landesarbeitsgemeinschaft ›Arbeit und Leben‹ in der Ravensberger Spinnerei zu ihrer 33. Mitgliederversammlung. ›Arbeit und Leben‹ ist eine Weiterbildungseinrichtung in gemeinsamer Trägerschaft vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und Volkshochschulen in NRW. Bei ›Arbeit und Leben‹ geht es vor allem um die Weiterbildung von ArbeitnehmerInnen, aber nicht nur: So lebt der WebWecker unter dem Dach von ›Arbeit und Leben‹ Bielefeld.

Claus Sobott, stellvertretender Geschäftsführer von Arbeit und Leben Bielefeld, stellte auf der Jahrestagung den WebWecker-Bielefeld vor: Hier wird mit eng begrenzten Ressourcen ein Konzept verfolgt, BürgerInnen aktiv einzubinden. Abgrenzend dazu passte der Vortrag von Hans J. Kleinsteuber. Er ist Professor für Politische Wissenschaft in der Universität Hamburg mit dem Arbeitsschwerpunkt Medien.

»Für mich war Bielefeld das Tor zur Welt«, sagt Kleinsteuber und erklärt warum: Er ist in Lemgo im Kreis Lippe geboren und lernte beim Fahrunterricht in Bielefeld die ersten Ampeln in seinem Leben kennen und wohl auch beherrschen. Danach weitete sich der Blick erheblich: Nicht mehr nur die reale Realität, sondern auch die virtuelle kam hinzu. So zappt sich Kleinsteuber heute durch die Massenmedien, um ihre Position in und zur Gesellschaft zu bestimmen. Die Massenmedien nehmen die Gesellschaft nur verkürzt in den Blick, lautet seine Diagnose.

Der verkürzte Blick korrespondiert mit einem immer größeren Strom von Nachrichten, der auf die RezipientInnen einwirkt. Je Generation entsteht das 800fache an neuen Medieninhalten. Doch das enorme Wachstum an Medien geht eben nicht einher mit wachsender Tiefe. Die allgemeine Medienflucht in simple Klischeewelten halte an, sagt Kleinsteuber. Dabei will ein wesentlicher Teil der Medien bewusst fiktive Geschichten erzählen – viele Menschen wollen ihre bescheidene Lebenswirklichkeit gar nicht in den Medien sehen. Dieser Eskapismus werde desto stärker, je randständiger und schwieriger die Position des Individuums sei, erklärt Kleinsteuber. Der durchschnittliche Deutsche konsumiere beispielsweise knapp dreieinhalb Stunden Fernsehen pro Tag. Durchschnitte kommen aber nur zustande, weil es auch diejenigen gibt, die deutlich weniger oder deutlich mehr gucken: Vielseher sind: Frauen, Menschen über 50 Jahre, Ostdeutsche, Menschen mit niedrigem Bildungsstand und Arbeitslose. Es wirkt wie ein Klischee, ist aber keines.

Medien inszenieren eine eigene Welt, bevorzugt eine glänzende: In Hamburg beispielsweise gab es die ›women world awards‹, die Preise sollten an »preiswürdige Frauen« gehen. Dahinter stand die Idee einer Wiener PR-Agentur, die hier einen Markt sah und fand. Das Projekt wurde sogar vom Hamburger Senat unterstützt, und zwar mit 400.000 Euro. Die Summe entspricht genau dem Betrag, den die Hamburger Frauenhäuser im vergangenen Jahr an Kürzungen hinnehmen musste. Der PR-Agentur wars egal, den meisten weiblichen Stars auch: War die Preisverleihung doch eine weitere Möglichkeit, Medienstern zu sein.