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Arbeitsmarktderegulierungsgesetz (07.07.2004)



Etwa einhundert Menschen wollten bei einer Informationsveranstaltung am Dienstag wissen, was ihnen durch Hartz IV blüht. Geht man nach dem dort spürbaren Unmut, dürfte es am 15. Juli eine wütende Demonstration vor dem Rathaus geben. Dann will die Stadt den Umgang mit den neuen Regelungen beschließen.

Von Mario A. Sarcletti

»Es wird ein bisschen länger dauern, wir gehen ein ganzes Gesetz durch«, kündigt Ulrike Gieselmann von Widerspruch an. Der Verein mit Sitz in der Bürgerwache berät seit 16 Jahren sozial Schwache bei ihrem Kampf mit den Behörden. Tatsächlich dauert die Veranstaltung am Dienstag in der Bürgerwache über zwei Stunden. Das liegt zum einen an der komplexen Materie, zum anderen daran, dass die Besucher der Informationsveranstaltung viele Fragen haben. Viele von ihnen sind von den Änderungen betroffen, die das Sozialgesetzbuch II (SGB) mit sich bringt.

»Das Wichtigste daran ist, dass der Grundgedanke des Sozialhilfegesetzes gestrichen ist, allen Menschen ohne Ansehen der Person ein menschenwürdiges Leben zu sichern«, bringt Ulrike Gieselmann ihre Kritik am SGB II auf den Punkt. Fordern statt fördern sei das Motto von Hartz IV.

Tatsächlich fordert Vater Staat eine Menge von Menschen, die auf die Unterstützung in Höhe von 345,- Euro monatlich angewiesen sind. All inclusive versteht sich, Strom, Kleidung oder eine neue Waschmaschine, wenn die alte den Geist aufgibt, sollen davon bezahlt werden. Dafür müssen Bedürftige eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben.

Damit erklärt man die Bereitschaft, jede zumutbare Arbeit, das ist praktisch jede, die nicht wie Prostitution sittenwidrig ist, oder eine Arbeitsgelegenheit anzunehmen. Letztere muss im öffentlichen Interesse sein. »Mit dem Passus kann ich jeden Job reinkriegen«, erklärt Ulrike Gieselmann. »Bei Oetker in der Küche ist auch im öffentlichen Interesse«, befürchtet sie. Den Stundenlohn von einem Euro bezahlt die Bundesagentur für Arbeit. Ulrike Gieselmann befürchtet wegen dieser Regelungen massives Lohndumping und spricht vom »Gesetz zur Deregulierung des Arbeitsmarktes«. Widerspruch fordert, dass in Bielefeld keine solchen Arbeitsgelegenheiten entstehen, die REGE ist aber schon eifrig auf der Suche danach.

Eine solche Eingliederungsvereinbarung muss auch für weitere im Haushalt wohnende Personen abgegeben werden. »Das heißt, ich muss für meine 18-jährigen Sohn unterschreiben, dass er sich umgehend eine Arbeit sucht und für meinen alkoholkranken Mann, dass er zur Suchtberatung geht«, erläutert Gieselmann, was das konkret bedeuten kann. Sollte der Sohn im übrigen keine Job finden, gibt es für ihn nur noch Lebensmittelgutscheine, da unter 25-Jährige »unverzüglich« Arbeit finden müssen. Dreitausend junge Menschen sind davon in Bielefeld nach Schätzungen von Widerspruch betroffen.

Sollte die Eingliederungsvereinbarung nicht erfüllt werden, wenn der Arbeitssuchende zum Beispiel nicht die vereinbarte Zahl an Bewerbungen vorweisen kann, wird die Regelleistung für drei Monate um dreißig Prozent gekürzt. »Zeigt man der Sachbearbeiterin daraufhin den Vogel, werden noch einmal dreißig Prozent abgezogen«, beschreibt Ulrike Gieselmann die drastischen Sanktionen. »Aber vorher sollte ich dann noch den Sachbearbeiter erschießen«, sagt einer der Anwesenden. »Das wird so kommen«, befürchtet eine fassungslose Zuhörerin: »Entweder Knast oder Psychiatrie«.