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Demo am Nicht-Ort (Teil 2)







Er berichtet auch, dass es in der Landesaufnahmestelle immer wieder zu Selbstmordversuchen kommt. »Vor ein paar Tagen hat ein Mann versucht sich und seinen Sohn umzubringen, er hat überlebt und liegt jetzt auf der Krankenstation«, sagt Sergej. Hildegard Winkler von Avanti, einem Osnabrücker Verein für Bildungsarbeit, der Camp und Demonstration mitorganisierte, wundert der Vorfall nicht. »Viele sind durch die Flucht traumatisiert und ständig von Abschiebung bedroht«, beschreibt sie die psychische Verfassung der Bewohner der Landesaufnahmestelle. Die Situation dort verschlechtere die noch. Bis zu fünf Personen sind in einem Zimmer untergebracht, neben fünf Quadratmetern Wohnfläche stehen den Flüchtlingen 40 Euro Taschengeld pro Woche zur Verfügung, Arbeit ist den meisten untersagt. Von dem Taschengeld sollen sie nicht nur ihre persönlichen Bedürfnisse abdecken, auch Fahrt- oder Anwaltskosten für das Asylverfahren sollen davon bezahlt werden. Eine Rechtsberatung gibt es in dem Lager nicht, dafür eine Stelle des Ausländeramtes. Flüchtlingsinitiativen sehen in ihr einen weiteren Versuch, die Flüchtlinge von der deutschen Gesellschaft abzuschotten.

Auch die 150 Kinder, die in dem umzäunten Gelände leben, müssen es nicht verlassen. Seit März diesen Jahres gibt es Förderklassen, Kritiker sprechen von einer Lagerschule, in denen sie offiziell auf eine Regelschule vorbereitet werden sollen. Ob sie die aber jemals besuchen werden, hängt nicht von ihren sprachlichen oder schulischen Fähigkeiten sondern von der Prognose über die Aufenthaltsdauer ab. Die ist meist ungünstig, schließlich ist die freiwillige Ausreise der Flüchtlinge das Ziel der Aufnahmestelle.

Sergej berichtet, dass die Bewohner bei Verlängerung ihrer einmonatigen Duldung regelmäßig bedrängt würden, schriftlich zuzusichern Deutschland zu verlassen. Trotz der schlechten Lebensbedingungen im Lager und Druck auf die Flüchtlinge ist das Konzept nach Angaben von Avanti jedoch nicht sonderlich erfolgreich: 19 Menschen seien freiwillig ausgereist, 30 per Abschiebung unfreiwillig. 84 Flüchtlinge hätten hingegen den Gang in die Illegalität der Ausreise und dem Aufenthalt im Lager vorgezogen, berichtet Avanti.

Auch Sergej würde keinesfalls in seine Heimat zurückgehen. »Ich würde sofort ins Gefängnis gesteckt und dort würden sie mich umbringen«, fürchtet er. Die Demonstration findet er gut. »Es ist angenehm zu merken, dass sich jemand für uns interessiert«, freut er sich über die Demonstranten. Als die an dem Gelände eintreffen, droht die Situation für einen kurzen Moment zu eskalieren, als einige sich am Zaun zu schaffen machen. Ihr als Sprechchor formuliertes Vorhaben, »Bewegungsfreiheit auf allen Wegen, wir werden jetzt den Zaun zerlegen«, wird jedoch von berittener Polizei und Beamten mit Helm und Schlagstock vereitelt. Nach einer Kundgebung machen sich die Demonstranten auf den Weg zum Bahnhof oder ins Camp in der Nähe der Landesaufnahmestelle.

Vorher versprechen sie wiederzukommen und die Proteste fortzusetzen, bis das Lager geschlossen wird und seine Bewohner dezentral in Wohnungen untergebracht werden. Sie hoffen, dass sich beim nächsten Mal noch mehr Bewohner der Landesaufnahmestelle an einer Demonstration beteiligen. Die seien diesmal massiv eingeschüchtert worden, meint eine Rednerin. Sergej bestätigt das: »Uns wurde gesagt, dass da Nazis kommen würden um uns zu verprügeln.« Die Lagerleitung habe aber nicht nur auf Angst gesetzt, um die Flüchtlinge von der Demonstrationsteilnahme abzuhalten. Sie lockten sie, so Sergej, mit einem Papier vom Ort des Geschehens weg, das sonst nur schwer zu erhalten ist: Der Genehmigung den Landkreis für das Wochenende zu verlassen.