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Zweckdienliche Hinweise für soziale Bewegungen (Teil 2)



Zur Begründung dieses Phänomens formuliert Kolb eine weitere These: »Soziale Bewegungen müssen die politische Elite spalten«. Je mehr Streit es in der Elite gebe, desto größer seien die Chancen für eine Bewegung. Tatsächlich haben in Skandinavien viele Polititker auf die Vorbehalte der Bevölkerung der Technologie gegenüber reagiert, in Frankreich hingegen gibt es im Establishment fast nur Befürworter der Atomkraft. Außerdem seien die Anti-Atom-Aktivisten in Dänemark und Norwegen in den Ring gestiegen, bevor in dem Land eine Entscheidung für die Technologie gefallen sei. »Es geht darum schnell zu sein«, sagt Kolb. Nach diesen beiden Thesen haben die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV kaum Aussicht auf Erfolg. Die Elite ist sich einig und die Proteste begannen viel zu spät.

Eine weitere These von Felix Kolb dürfte Gegner der aktuellen Entwicklung der Sozialsysteme auch nicht gerade optimistisch stimmen: »Soziale Bewegungen müssen einen Kampf um die Konstruktion der Wirklichkeit führen« lautet diese. Felix Kolb verdeutlicht das am Irak-Krieg. Während die Kriegsbefürworter die angebliche Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen propagierten, führte die Friedensbewegung die Ölinteressen der USA ins Feld. »Problemmuster« heißt das bei Kolb und wie in diesem Konflikt gibt es bei allen politischen Auseinandersetzungen mindestens zwei davon.

Die Frage lautet, welches Problemmuster sich durchsetzt. Im Falle Hartz IV heißt das: Müssen die sozialen Systeme umgebaut werden, um die faulen Arbeitslosen zur Arbeit zu bewegen oder muss das Wirtschaftssystem verändert und die Reichen stärker belastet werden? In dieser Frage scheint sich das erste Problemmuster durch die Lobbyarbeit der Wirtschaftsverbände durchgesetzt zu haben.

Ob ein Problemmuster Erfolg hat, hängt dabei weniger davon ab, ob es der Wirklichkeit entspricht, sondern eben wie diese konstruiert wird. Felix Kolb erläutert am Beispiel »Waldsterben«, was ein »gutes Problemmuster« ausmacht: Der Name ist griffig und biete über die Bilder von kaputten Bäumen ein gutes »Identifizierungsschema«. Weitere Zutaten zu einem erfolgreichen Problemschema sind nach Kolb eine klare Problembeschreibung, in diesem Fall der Straßenverkehr. Zudem habe Waldsterben auch einen klaren Bewertungsmaßstab. »Wir müssen die Umwelt für die kommenden Generationen erhalten«, formuliert Kolb. Die Bewertung bietet zudem die Prise »affektiver Bestandteil«: »Wir erinnern uns daran, wie wir als Kinder in einem gesunden Wald gespielt haben«, erklärt der Politikwissenschaftler.

Durch die äußeren Faktoren, die eine soziale Bewegung nicht beeinflussen kann, braucht sie aber auch bei einem guten Problemmuster ganz einfach Glück um erfolgreich zu sein. Felix Kolb spricht von »Windows for reform«. Sie gibt es vor allem nach Krisen und bei einem Regierungswechsel, wenn die neue Regierung ein starkes Mandat erhält. Kolb erinnert an die Anfänge der Regierung Willy Brandt, die viele Reformen mit sich brachte und an die Krise nach Tschernobyl, die der Atomlobby schwer schadete. Auch die BSE-Krise war so eine Chance, das Problemmuster gut. »Das hätte das Ende der Massentierhaltung sein können«, glaubt Felix Kolb. »Aber die Umweltverbände haben das verschlafen«, bedauert er. Aber immerhin bescherte die Krise dem Land ein Ministerium für Verbraucherschutz.