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Eintauchen in die 70er-Lebenswelt (Teil 2)



Die Ausstellung dokumentiert auch die Einstellung der Bielefelder Bürger gegenüber den aufbegehrenden Studierenden. Das Verhältnis war nicht immer unproblematisch, wie die Wand mit dem Titel »Universitätsstadt oder Stadt mit Universität« zeigt. Hier sind Antworten auf eine Fragebogenaktion der Lokalzeitungen nachzulesen, mit der die Bereitschaft der Eingeborenen zur Vermietung von Zimmern an Studierende ermittelt werden sollte. Einer schlug den Hochschülern vor, doch in der DDR zu studieren. Ein anderer empfahl »den langborstigen und struppigen Figuren, wo man kaum erkennen kann, dass sie Menschen sind«, doch beim Tierpark in Olderdissen um Unterkunft zu bitten: »Vielleicht haben die noch ein Gehege frei«, schrieb ein Bürger dem Westfalenblatt.

Die Ausstellungsbesucher erfahren auch etwas über die Entstehung einer der letzten Spuren aus jenen Tagen, die heute noch in der Uni-Halle zu bewundern sind. In der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 1976 malten Vertreter des AStA gemeinsam mit chilenischen Exilanten in einer Nacht- und Nebelaktion das Wandbild zum Putsch in Chile. Vor allem, dass durch die US-Flagge auf dem Bild die Verantwortung der CIA für das Ende der Demokratie in dem südamerikanischen Land thematisiert wurde, sorgte damals für Diskussionen in der Uni. Am 22. Dezember beschloss der Senat der Universität jedoch einstimmig, dass das Gemälde an der Stirnwand des Audi Max bleibt: »Der Senat möchte damit zum Ausdruck bringen, dass an der Universität Bielefeld die stilschweigende Duldung des Faschismus keinen Platz hat«, heißt es in dem bemerkenswerten Beschluss.


Otto Schily von Linken bejubelt

Bemerkenswert auch ein Auftritt im Audi Max im Jahr 1977. Damals sprach ein Rechtsanwalt namens Otto Schily zur Frage des staatlichen Umgangs mit Terroristen. Sein Auftritt im brechend vollen Auditorium Maximum wurde von linken Studierenden bejubelt. Aber nicht nur der heutige Bundesinnenminister hat sich seither gewandelt. Der Vergleich eines Mensatisches von heute und einem aus dem Wintersemester 1977/78 zeigt, dass sich auch die politische Kultur der Studierenden verändert hat. Während heute vor allem Partyankündigungen ausliegen, waren es in den 70ern hochpolitische Texte der verschiedenen Hochschulgruppen.

Allein achtzehn kommunistische Gruppen beteiligten sich zwischen 1976 und 1980 am inneruniversitären Diskurs und traten zu Wahlen zu Studierendenvertretungen an, bei denen in den 70er Jahren die Wahlbeteiligung noch um die 50 Prozent lag. Heute findet nur noch jeder zehnte Studierende zu den Wahlurnen. Anscheinend sind die Studierenden von heute jedoch nicht nur unpolitischer, sondern auch braver als damals. »Das Gros der Studierenden tritt heute so diszipliniert auf, dass sich mancher Kollege den Geist von damals zurückwünscht«, erzählt Prorektorin Wild von der Enttäuschung einiger Dozenten über die Jugend von heute.

Dabei haben sich die hochschulpolitischen Themen und auch die Aktionsformen studentischer Aktivisten kaum geändert. Das zeigen Fotos von einer Aktion mit dem Titel »Die PH geht baden«. Im vergangenen Jahr sprangen Studierende aus Protest gegen Studiengebühren und Unterfinanzierung der Hochschulen in Rhein oder Spree. Das Motto lautete »Die Bildung geht baden«. Dokumentiert ist auch ein Unistreik aus dem Jahr 1977. Als das Hochschulrahmengesetz (HRG) eingeführt wurde, streikten die Studierenden bundesweit gegen die Einführung der Regelstudienzeit von acht Semestern, die heute die Grundlage für Studiengebühren für »Langzeitstudierende« ist.