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Magdalena Felixa, »Die Fremde«



Titel: Die Fremde
„Die Menschen, die mir jemals etwas bedeutet haben, sind entweder ans Ende der Welt gezogen oder tot. Ich habe alles verloren, Vater, Mutter, Heimat, Liebe, Geld und Stolz. Ich habe keine Muttersprache, ich habe sieben Stiefmuttersprachen und kein Vaterland,“ so die Erzählerin dieser melancholischen Geschichte. Selena oder Hanna, die sich je nach Situation und Laune auch mit anderen Namen vorstellt, lebt illegal in der Metropole Berlin, mal hat sie Geld, mal keines. Sie schlüpft unter, lebt in Jugendherbergen oder elenden Quartieren, dann geht sie wieder auf Galadinners, Empfänge und Vernissagen oder arbeitet in Hotels und Restaurants als Pianistin. Sie bleibt unerkannt, rastlos, lässt sich in der Anonymität treiben. Gelegentlich wird sie aber doch erkannt und dann gejagt: dubiose, ihr bekannte brutale Schläger verfolgen sie. Es geht um viel Geld aus einem missglücktem Deal... so liest sich der Roman „Die Fremde“ von Magdalena Felixa, 1972 in Polen geboren, mittlerweile Schweizer Staats- oder Weltbürgerin auch ein wenig wie ein Krimi. Magdalena Felixa spürt gelungen der Situation einer Illegalen nach: Sie beschreibt Selena nicht als Opfer, vielleicht kann sie aufgrund der Umstände kein konkretes Ziel verfolgen, dennoch lebt sie autark und selbstbewusst, stolz, denn den hat sie nicht verloren. Scheinbar hat sie alles andere hinter sich gelassen, bleibt distanziert gegenüber den ihr begegnenden Menschen. Sie beobachtet gelangweilt, lässt sich auf nichts ein, wartet ab. Sie analysiert ihre Umgebung, gutsituierte Bürger und Außenseiter, Deklassierte, in jedem Fall skurrile Personen, treffend. In einer mehr und mehr aus den Fugen geratenen Welt, in der alle in gewisser Weise überreagieren, wirkt die Protagonistin seltsam normal und ausgeglichen. Und doch könnte sie wie eine tickende Zeitbombe plötzlich hochgehen. All das spielt sich ungemein passend im anonymen, teilweise irreal wirkenden Berlin ab. Alle sind hektisch mit irgendwas beschäftigt, am meisten mit sich selbst.

Magdalena Felixa erzählt in einer fließenden, genauen Sprache, sie zieht unmittelbar in die atmosphärische Geschichte hinein, ein spannender Roman, der trotz Düsterheit mit einem außerordentlichen Glücksfall endet. Doch wendet sich das Schicksal von Selena oder Hanna wirklich, das bleibt ungeklärt. „Die Welt steht mir offen. Ich bin frei, so frei, dass sich mich vor lauter Möglichkeiten nicht entscheiden kann. Als wäre die Freiheit eine Naturgewalt, der wir Menschen nicht gewachsen sind. Die Flucht ist mir Geborgenheit. Warum muss jeder einen Platz finden in der Welt?“. Sicher lohnt es sich, dieser Frage ernsthaft nachzugehen, vorher lohnt sich auf jeden Fall die Lektüre.

Magdalena Felixa, „Die Fremde“, Aufbau Verlag, 198 S., 2005, Euro