Webwecker Bielefeld: arbeitsmarktjuni200502

Leichte Erholung am Arbeitsmarkt (Teil 2)



»Fordern und Fordern«



Ein Zwischenruf von Manfred Horn

Wer die aktuellen Arbeitsmarktzahlen liest, kann nur zu einem Schluss kommen: Die im Zuge der Arbeitsmarktreform von der Bundesregierung propagierte Formel ›Fördern und Fordern‹ ist durch ›Fordern und Fordern‹ ersetzt worden. Die berufliche Weiterbildung ist alleine im Agenturbezirk Bielefeld im Jahresvergleich um 65 Prozent reduziert worden. Dies kommt einem politischen Offenbarungseid gleich. Denn nur wer qualifiziert ist und sich weiter qualifizieren kann, hat Chancen auf einen qualifizierten, also vernünftig entlohnten und nicht auf sechs Monate befristeten Arbeitsvertrag.

Doch die Bundesregierung und die Agentur für Arbeit scheinen die Arbeitslosen für solche Tätigkeiten, die ja eigentlich den Standort Deutschland ausmachen, abgeschrieben zu haben. Stattdessen werden Arbeitslose, wenn sie denn nach einem Jahr in das Arbeitslosengeld II rutschen, häufig ohne Rücksicht auf Qualifikation, Wünsche und Lebenssituation in prekäre Arbeitsverhältnisse oder gleich in perspektivlose Ein-Euro-Jobs gedrängt.

Die Spaltung der Gesellschaft wird verschärft, indem ein neues, völlig entrechtetes Proletariat geschaffen wird, dass dankbar sein darf, überhaupt noch eine Arbeit zu bekommen. Den sozialen Sprengstoff, den die Deklassierung von Millionen Menschen in der Bundesrepublik bedeutet, scheinen die Entscheider dabei in Kauf zu nehmen. Wer Menschen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum ausschließt, soll sich aber hinterher nicht beschweren, wenn diese Menschen sich nicht mehr als Teil der Gesellschaft begreifen.

Hartz IV entpuppt sich immer deutlicher als die Schaffung eines staatlich subventionierten Niedrigstlohnsektors. Die Dritte Welt kommt nach Deutschland, aber nicht in Form von Migranten. Die scheitern bereits an den Radarmauern der Festung Europa. Die neuen Pauperisierten sind hier aufgewachsen. Eine fatale Entwicklung, die neben der gesellschaftlichen Katastrophe mittelfristig auch ökonomische Folgen haben wird. Entwickelt sich die Bevölkerung wie prognostiziert, nimmt sie also in den kommenden Jahrzehnten rapide ab, wird es schon in zehn Jahren einen Mangel an qualifizierten Mitarbeitern geben.