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Goliarda Saipenza: »In den Himmel stürzen«, (Juli 2005)



Titel: Goliarda Saipenza: »In den Himmel stürzen«

»Hier bin ich also mit vier oder fünf Jahren an einem schlammigen Ort, wie ich ein riesiges Stück Holz hinter mir herziehe.(...) Jetzt stehe ich in dem dunklem Raum, in dem wir geschlafen und gegessen haben: Brot und Oliven oder Brot und Zwiebeln . Gekocht wurde nur sonntags. Meine Mutter näht in einer Ecke, die Augen von der Stille geweitet. Sie spricht nie. Entweder schreit sie, oder sie schweigt. Der schwarze schwere Vorhang ihrer Haare ist voller Fliegen.«


So armselig lebt die zu diesem Zeitpunkt vier- oder fünfjährige Modesta in einem sizilianischem Dorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ihre Lebensaussichten sind trostlos und erdrückend, versprechen dem aufgeschlossenen und neugierigen Mädchen rein gar nichts. Und dann verliert Modesta, gerade neunjährig, durch einen Brand, den sie selbst in einer beklemmenden Not- und Gewaltsituation verursacht, Schwester und Mutter. Plötzlich steht sie ganz allein in der Welt. Die italienische Autorin Goliarda Sapienza, Tochter zweier berühmter Vorkämpfer der sozialistischen Bewegung Italiens, schloss ihren Roman »In den Himmel stürzen« bereits 1976 ab, veröffentlicht wurde er in Italien erst über 20 Jahre später, den Verlegern war er zu freizügig, jetzt liegt er in deutscher Übersetzung vor.

Sapienza erzählt in ihrem Roman die Geschichte Modestas aus armseligsten, frauenverachtenden Verhältnissen bis an die Spitze eines alteingesessenen Adelsgeschlechts. Allerdings ist Modesta kein Aschenputtel im traditionellen Sinn, die auf ihren Prinzen warten muss, sondern sie versucht sehr selbstbewusst und intelligent, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.

Als Waise wird sie zunächst in einem Kloster untergebracht und lebt dort als besonderer Schützling der Oberin. Das Kloster bietet Kleidung, Nahrung, Bildung und erscheint zunächst als paradiesischer Ort. Doch Modesta, deren Geist, durch die ihr gebotene Bildung erst einmal angeregt, nach mehr Erkenntnis theoretischer und auch praktischer Art hungert, leidet zunehmend unter den Einschränkungen und Hemmnissen dieses gefängnisähnlichen Ortes.

Nach dem plötzlichen Unfalltod der Oberin sieht deren Testament vor, dass sich Modesta im realen Leben außerhalb des Klosters bewähren soll, letztlich nur, um demütig ins Kloster zurückzukehren. Modesta allerdings nutzt die gewonnene Freiheit auf ihre Weise, kaum achtzehnjährig hat sie es nach Hochzeit und Todesfall geschafft, Herrin eines dekadenten, aber immer noch finanziell recht gut gepolsterten Landgutes zu werden. Sie nutzt ihre Möglichkeiten, um ganz nach ihrer Facon zu leben, ihre Träume zu realisieren und die sind alles andere als konform.

Modesta rebelliert gegen die starren Normen und rigiden Strukturen der alten sizilianischen Gesellschaft, sie denkt, was sie will, sie lässt sich ein, mit wem sie will, sie streitet für das, was sie für richtig hält. Sapienza erzählt die Geschichte einer Frau, die glücklich sein will in einer verkrusteten Männergesellschaft, die für Frauen wie sie keinen Platz vorgesehen hat. Und doch gelingt es dieser Frau mal lächelnd, mal mit Schmerzen, ihre Träume zu verwirklichen und sich mutig gegen eine antiquierte Gesellschaft zu behaupten.

Sie verfolgt dabei nur ein Ziel: frei zu sein. Ein lesenswertes, atmosphärisches Buch, an dem Goliarda Sapienza nach eigenen Auskünften fast ein Jahrzehnt arbeitete, das aber gerne an einem freien Sommerwochenende gelesen werden mag.

Goliarda Sapienza, »In den Himmel stürzen«, Aufbau Verlag, 442S., 22,90 Euro, 2005

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