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»Das Leben ist zu mir zurück gekommen« (10.08.2005)





Sylvia M. hat durch das „Betreute Wohnen“ ihr Leben wieder in die Hand bekommen. Foto: Werner Krüper





Die 39-Jährige Sylvia M. kam Ende 1999 ins Haus Nordpark, einer Einrichtung der Straffälligenhilfe im Evangelischen Johanneswerk, jedoch nicht direkt aus der Haft. Die drogenabhängige und Mutter von vier Kindern hatte in Gilead IV in Bethel einen Entzug gemacht und wollte ihr Leben von vorn beginnen. Im ›Betreuten Wohnen‹ haben sie der Diplompädagoge Eckhard Tarner und die Sozialpädagogin Andrea Techentin bei ihrem Neuanfang unterstützt und begleitet. Nach einem vollstationären Aufenthalt wechselte Sylvia M. ins betreute Wohnen. Das Konzept im Haus Nordpark: Menschen, die Kontakte und sich selbst verloren haben, ein erstes Zuhause zu geben und ihnen beim Aufbau eines neuen Lebens zu unterstützen.

Bei Sylvia fängt alles ganz harmlos an. Mit 18 lernt die Bielefelderin einen Mann kennen, wird schwanger. Die beiden heiraten. Zwei weitere Kinder folgen. »Kaum von zu Hause weg, war ich das Heimchen am Herd«, erinnert sie sich. Als ihr Ehemann plötzlich stirbt, steht sie alleine da. Ein neuer Mann kommt in ihr Leben, drogenabhängig. »Er nahm harte Drogen, irgendwann hab ich mitgemacht.«

Als sie mit dem vierten Kind schwanger ist, kann sie die Sucht bei einer Schwangerschaftsuntersuchung nicht mehr verbergen. Das Jugendamt schaltet sich ein und bringt das Sorgerecht vorrübergehend zum Stillstand. Sylvia M. darf sich nicht mehr selbst um ihre vier Kinder kümmern. „Für die Kinder war es hart und doch das Beste“, sagt sie heute rückblickend. Von dem Zerfall ihrer Familie habe sie emotional gar nicht so viel mitbekommen. Ihr Leben dreht sich zu dem Zeitpunkt sowieso nur noch um die Droge. Ein 24-Stunden-Job.

Das Paar lebt auf der Straße, beide werden abwechselnd wegen Diebstahl verhaftet. Sie schlafen auf Parkbänken und unter Brücken –mitten in der City von Bielefeld. Zum Schluss schafft Sylvia M. als Prostituierte auf dem Straßenstrich am Bahnhof an: »So konnten wir uns wenigstens mal ein Hotelzimmer leisten, uns waschen, schlafen«.

1999 stirbt ihr Partner an den Folgen des Drogenkonsums. Doch Sylvia M. kommt nicht vom Stoff runter. Die StreetMed-Ärztin Barbara Kroll, die Sylvia M. regelmäßig untersucht, schreibt ihr Einweisungen fürs Krankenhaus. »Du siehst immer schlechter aus«, warnt sie Sylvia und will sie vor allem von der Straße runterholen. Einige Monate hält Sylvia M. noch durch. Dann entscheidet sie sich und geht Richtung Klinik. »Ich wusste nicht, was passieren wird.« Acht Monate lang bleibt sie in stationärer Behandlung, geht auf Entzug mit Methadon.

Im März 2000 ist Sylvia M. so stabil, dass sie in die stationäre Frauen- WG im Haus Nordpark umziehen kann. Ein Riesenschritt. Eckhard Tarner erinnert sich: »Es war viel in Bewegung, sie wollte unbedingt arbeiten, hat sich immer wieder Ziele gesetzt, das hat unsere Zusammenarbeit so erfolgreich gemacht«, so Tarner. Die Pädagogen bieten im ›Betreuten Wohnen‹ nicht nur ihr beraterisches Know-how, sondern auch lebenspraktische Unterstützung an. »Ziel ist es, dass jeder schrittweise seine absolute Selbstständigkeit erreicht, sein Leben vollständig in den Griff bekommt«, sagt Andrea Techentin.

Seit einiger Zeit nimmt die Bielefelderin kein Methadon mehr. Sylvia M. ist clean und es gehe ihr „super“, sagt sie und strahlt. »Wut, Trauer, aber auch Liebe und Lust – alles, was die Drogen gedämpft haben, kann ich wieder spüren«. Sie hat einen Arbeitsplatz in der Töpferwerkstatt gefunden. Und sie hat Kontakt zu ihren Kindern, die teils erwachsen sind, teils in Pflegefamilien leben. Dass sie das Sorgerecht für eine ihrer Töchter wieder hat, macht sie stolz. »Ohne die Unterstützung von Haus Nordpark hätte ich das nie geschafft«, ist sich Sylvia M. sicher.