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Hundsgemein (14.09.2005)





Fotos: Philipp Ottendörfer


Von Manfred Horn

Er fragt, wie Du seine Eier haben willst. Am Ende bleibt es nicht bei den Eiern, der ganze Kopf muss dran glauben. ›Dogland‹, so heißt das Stück von Nuran David Calis, das am Freitag im Theater Bielefeld seine Uraufführung erlebte. Der Untertitel spricht Klartext: »Die einzige Wahrheit ist, dass man etwas aufgeben muss, um etwas neues zu beginnen«. Es gibt kein Zurück, soviel ist klar. Und auch ohne dieses Stück war bekannt, dass wenn es eine Wiederholung gibt, dann nur als Farce.

Dennoch lässt das Stück den geneigten Besucher fragend zurück: Welch Sinn verbirgt sich hinter der auf die Bühne gebrachten Orgie von Gewalt? Oder ist genau das der Schlüssel, die sinnentleerte Gewalt? Der Ex-Bielefelder Nuran David Calis gehört zu den jungen wilden Autoren, die Schnörkelloses bevorzugen. Dennoch wirkt seine Vorlage dünn, sie stellt keine neue Fragen. Dafür benutzt Calis die Mikrowelle: die Milch schäumt schnell über.

Verschoben in ein subkulturelles Milieu, ist nichts wirklich Neues geschrieben. Sohn verachtet Mutter und liebt Vater, der ist aber tot. Mutter hat neuen Freund, Sohn kommt zurück mag den Lover nicht und trauert um den Vater. Mutter und Sohn, um es auf den Punkt zu bringen, verstehen einander nicht. Das kann überall auf der Welt passieren – und ist vor allem unabhängig vom sozialen Milieu. Der, der als Soldat in der Fremde war, kehrt zurück, ist gestählert, findet sich nicht mehr zurecht, sorgt aber für mächtig Betrieb. Die frühen Freunde haben sich längst ihre eigene, kleine und schräge Welt eingerichtet. Der eine verkauft Kork und meint so, etwas für das Gemeinwohl zu tun, der andere arbeitet in einer Müllverbrennungslage und lässt sich von den Huren der Stadt beglücken, ohne ihnen ins Gesicht zu schauen.


Ein großer Haufen Scheiße

Eine ausbalancierte Blase, in die der Heimkehrer alleine schon durch seine Anwesenheit hineinsticht – und die schließlich heftig platzt. Was roh klingt, ist auch so gemeint. Es folgt aber leidlich dem bekannten Schema, mit Schockern das Publikum zu erreichen. Calis analisiert das Thema verlorene Freundschaft und produziert ein großen Haufen Scheiße, in dem er genüsslich herumrührt.

Dabei ist die Zeit, in der es im Stück und auf der Bühne noch Tabus gibt, schon lange vorbei. Zuschauer vorzuhalten, wie krass sie neben der sozialen Realität der Unterschicht leben, funktionieret noch dort, wo es im echten Leben wenig von der Realität zu besichtigen gibt. Baumheide, der Bielefelder Stadtteil, in dem das Stück spielt, ist nicht nur eine Metapher für viele Orte, zu viele Orte, sondern auch ein literarisch ersonnener Mythos. Einerseits. Andererseits: Es ist immer ein angenehmer Kitzel, die Abgründe der Gesellschaft auf der Bühne zu sehen und nicht in seinem eigenen Haus.

Calis bringt es fertig, in einer Szene die Spieler immer mal wieder »Alter« sagen zu lassen, ein Deutsch, dass man jeden Tag in der Straßenbahn hören kann. Irgendwie süß, Alter. Ansonsten geht die Sprache ihren gewohnten Gang: Es wird sauber nach vorne artikuliert, dem Publikum vollständige Sätze serviert, grammatikalisch korrekt. Das ist dann doch irgendwie enttäuschend wenig elaboriert und weit davon entfernt, radikal zu sein.

Das Publikum hatte auch zu Schmunzeln, gar zu Lachen: An den Stellen, wo auf der Bühne auf einmal Bielefeld oder Herford auftauchten, geradezu als innerers Bild zu Gesprochenem, weil wohlbekannt. Glashaus und Sparrenburg inklusive. Das war man dann doch nicht gewohnt: Die unscheinbare Puddingstadt im zeitgenössischen Theater. Wo doch Münster wenigstens seinen Tatort hat, aber Bielefeld?