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Willys Erbe wills wissen (14.09.2005)





Der Bielefelder Liedermacher Bulli Grundmann brachte die Zuhörer in Fahrt und Oskar Lafontaine mit seinem Abgesang an Rot-Grün zum Lachen


Von Manfred Horn

Es war wie immer, wenn Spitzenkandidaten relevanter Parteien kommen: Absperrung, Security und eine Bühne – und was das wichtigste ist: Eine nennenswerte Menge Interessierte davor. Zwischen 1.500 und 2.000 dürften es am Dienstag Abend auf dem Rathausplatz gewesen sein – ungefähr so viele wie bei der Rede des grünen Außenministers Joschka Fischer vor zwei Wochen. Dies überrascht im ersten Moment, war man es von der PDS im Westen nicht gewohnt. Doch Lafontaine machts möglich: Die Linkspartei.PDS ist angekommen.

Dabei argumentierte Oskar Lafontaine, Spitzenkandidat der Linkspartei in NRW, nicht anders als er es früher zu tun pflegte: zu tiefst sozialdemokratisch, Variante: nach dem Godesberger Programm. Karl Marx kennt er zwar auch, baut ihn aber gehörig um: »Es geht ein Gespenst um in Deutschland, das Gespenst der Linkspartei«. Recht hat er, könnte die Partei nach den Umfragen doch drittstärkste Kraft im neuen Parlament werden – und tauchte dabei gleichsam aus dem Nichts auf.

Lafontaine will die Gesellschaft nicht ändern, er will vor allem Umverteilung in Maßen. Mehr Geld soll in die Staatskasse kommen, indem die Reichen mehr zahlen. Die Vermögenssteuer soll unter anderem wieder her. Lafontaine bemüht das Grundgesetz, in dem steht: Eigentum verpflichtet. Wie Lafontaine es dreht, wird es ironisch: »Wir befreien dich aus deiner Seelenqual«, sagt er – und meint damit, die Millionäre vor einem Verstoß gegen die Verfassung und gar eigene ethische Maßstäbe zu bewahren. Lafontaine als Seelenretter der Reichen.


Eliten mit Pisa-Problem

Auch sonst ist Lafontaine um ein kräftiges Wort nicht verlegen, er versteht es, das Publikum anzusprechen. »Nicht unsere Jugend, unsere Eliten haben ein Pisa-Problem«, sagt er mit Blick auf die sozialen Kürzungen der vergangenen Jahre. Die seien allesamt nicht nötig gewesen, wenn Deutschland die Abgabequote anderer europäischer Länder wie Dänemark oder Schweden gehabt hätte. 300 Milliarden Euro mehr wären dann mehr in der Staatskasse. Man wolle ja gar nicht so weit gehen wie in diesen Nachbarländern, aber ein bisschen mehr Steuern von den Reichen sollen es dann schon sein.

Auch bei der Lohnentwicklung verglich Lafontaine die Entwicklung mit anderen Industriestaaten. »Der Export ist prima, aber ohne wachsende Löhne gibt es keine Geschäfte in Deutschland«. Deutschland hänge bei der Lohnentwicklung deutlich hinterher, dies müsse anders werden. Mehr Lohn gleich mehr Binnennachfrage gleich besser laufende Wirtschaft gleich mehr Arbeitsplätze, so ungefähr lautet die Kurzformel, die – ebenso wie eine »Reichensteuer« – die SPD zumindest verbal reflexartig nun auch wieder entdeckt hat.

Heftig kritisiert er die »Rentenkürzungen« der vergangenen Jahre und zitiert Gerhard Schröder: »Wer Oma in die Tasche greift, ist unanständig«. Dies hatte der Bundeskanzler 1998 gesagt. Die ältere Generation habe den Wohlstand aufgebaut, hier dürfe es keine Kürzungen geben. Aber auch die jüngere Generation nimmt Lafontaine in den Blick: »Die Geburtenquote eines Landes ist das Urteil über die Kultur- und Sozialpolitik eines Landes«. Familiengründungen seien so selten geworden, weil viele nicht mehr wüssten, ob sie am Monatsende noch den Job und Geld in der Kasse haben.





Lafontaine: Wir können uns den Sozialstaat leisten