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Sehenswerte Poltiker (Teil 2)





Zwei neue Gesichter im Ensemble: Ulrike Müller und John Wesley Zielmann Foto: Philipp Ottendörfer


Beide Professionen ähneln sich. Und in beiden besteht die Gefahr, »sich selbst zu verlieren« – vorausgesetzt, es wird eine Essenz, ein Kern behauptet, der den Menschen an sich ausmacht. Dekonstruktion aber bedeutet, diesen nicht zu finden, nur Schichten, mal weiche, mal harte. Eine Mitte gibt es dabei nicht, und schon gar nicht ein verborgenes Geheimnis, dass es durch andauernde Übungen zu entdecken gilt.

Die radikale Umkehr daraus aber ist: Der Mensch inszeniert sich ständig – der Politiker erfindet dabei sogar sein Mensch-sein. Denn um auf gleiche Augenhöhe mit dem Wähler zu kommen, bedarf es dieser menschlichen Note. Erst dann kann die politische Message subkutan untergebracht werden. Während aber der Schauspieler exzessiv spielt, hat man dem Politiker einen Sandkasten gebaut und eine Überwachungskamera an den Rand gesetzt. Viele Spiele gehen nicht.


Christiansen ist überall

Denn die Medien sind immer dabei – Sabine Christiansen hat viele Gesichter. Da träumt mancher Politiker davon, körperlos zu sein, nur noch Sätze spuckendes Hirn. Da brodelt es in manchem Volksvertreter, wenn er die Warenförmigkeit seines Tuns zu heftig zu spüren bekommt. Doch wie sieht der Widerspruch aus? Max Grashof gibt den in die Jahre gekommenen Politiker, der sich innerlich aus der Politik emigriert. In den Ausschüssen schweigt er, den Flurfunk längst abgeschaltet. Und dennoch schwimmt er noch mit im Politikerstrom, seine körperliche Hülle ist weiter im Amt. Da würde doch manch Politiker von einer ›win-win-Situation‹ sprechen.

»Deutschland voranbringen«, »Für Deutschland arbeiten« und ähnliches ist in dem Stück zu hören. Parteipolitik kommt nicht vor. Wozu auch, der Typus des Politikers ist neutral, unabhängig von ideologischer Richtung. »Man ist Teil der Maschine – und die Maschine ist Teil von einem«, lautet das nüchterne Fazit. Macht hat ihren Preis, und der ist verdammt hoch.


Der Elefant macht die Runde

Uwe Bautz ist mit dem Stück herausragendes Theater gelungen. Die Wahlen sind vorbei, das mediale Spektakel, die sich versendenden Quasselbuden haben aber weiter Konjunktur. Wer die Schnauze voll hat von Sprechblasen, Inszenierungen von Wahrhaftigkeit und Wählerwillen, der sollte ›Politiker‹ sehen. Auch wenn es schwer fällt – ›Politiker‹ ist eben nicht die Fortsetzung von Sabine Christiansen oder der ›Elefantenrunde‹. Das Tier mit den zwei riesigen Ohren geht in dem Stück von Uwe Bautz zwar auch umher – aber in ganz anderer, existenzieller Weise. Bei Bautz fallen Politiker aus der Rolle, halten sich selbst einen Spiegel vor, sprechen von ihren Träumen und Ängsten.

Entstanden ist das Stück auf der Basis von Recherchen und anonymisierten Interviews mit echten Politkern, »Realpolitikern«, wie das Stadttheater in seiner Ankündigung schreibt, wohl ganz ohne grüne Hintergedanken. Das Spiel ist direkt, das Publikum berührt. Auch wenn sich das Setting eines Weltraumcamps nicht auf den ersten Blick erschließt. Die, die da sprechen, wollen nicht nach oben, sie sind es schon. Oder meinen es zu sein oder waren es schon. Wie auch immer: Hinter jeder Weide wartet noch eine fettere. Und der Weltraum ist endlos – wie die Besatzung des Raumschiffes Enterprise schon in den 1960ern erkannte.

Bei der Aufführung am vergangenen Sonntag verloren sich ganze 20 Besucher im Saal – und hatten ein tierisches Vergnügen. Die kleine Besetzung – nebenbei eine wunderbare Möglichkeit, zwei neue Ensemblemitglieder aus nächster Nähe zu erleben – spielt erfrischend auf, nicht nur dank der Zahnpasta, die Ulrike Müller mit auf die Bühne schleppt. Dieses Stück hat definitiv ganz viele Zuschauer verdient. Ein echter Tipp, unbedingt hingehen!


Weitere Aufführungen am 28., 29., 30. Oktober, jeweils 19.30 Uhr. Weitere Termine in Planung. Aufführungen im ›Tam zwei‹, Theater am Alten Markt