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Hawemann, der in Bielefeld bereits Dantons Tod inszenierte, lässt die Drei auf nahezu leerer Bühne aufeinander los. Da sagt Sebi: »Dirk, fick Dich«. Vulgär. Und das nicht nur einmal. Da bedrohen sich die drei mit dem Luftgewehr, alles hat Speed, nur in den Kurven des Stücks wird ein Gang runter geschaltet. Der Schauspielkörper gibt alles und will die Anstrengung nicht verbergen.

Früher war es besser, an der Kunsthochschule, im Tierpark oder auf dem Polenmarkt. Inzwischen hatte Sebi Frau und Kinder, Dirk war vorübergehend Altenpfleger und wischte Ärsche ab. Nur Martin träumt weiter vor sich hin und ist gelegentlich kreativ, schreibt Drehbücher. Was die drei eint, sind verlorene Träume, gefilterte Erinnerungen und eine alkoholhaltige Pfütze, in der ziemlich verschwommen so etwas wie Zukunft oder Hoffnung schwimmt.


Bang, Bang, Überfall

Die Situation eskaliert, als die Freunde einen Überfall planen – und scheitern. Zunächst ziemlich dilletantisch daran, dass die Bank die Öffnungszeiten geändert hat. Als sie schließlich einen Juwelier überfallen, taucht plötzlich ein Polizist auf – den Dirk kurzerhand abknallt. Sie schlagen sich in den Wald, in eine Kleingartenkolonie, rudern wie die Irren über den See, immer auf der Flucht vor der Polizei – immer auf der Suche nach den Sternen. Sie singen Fehlfarben: »Die Schatten der Vergangenheit. Wo ich auch geh da sind sie nicht weit. Ich weiss nicht einmal wer ich bin. In der Zeitung zu lesen das hat keinen Sinn«, und: »Die zweite Hälfte des Himmels könnt ihr haben. Das Hier und Jetzt, das behalte ich«, während Martin, in dessen Bauch sich eine Polizistenkugel gebohrt hat, »suppt wie Sau«. Ein Roadmovie, deren Reisequalitäten der höhenverstellbare Zuschauer auf seinen Drehstühlen erlebt.

»Ich will Spaß« lautet das Motto, dessen Interpret, ein gewisser Markus, der gleichen neuen deutschen Welle der 1980er Jahre wie die Gruppe Fehlfarben entsprang. Die drei wollen auch Spaß, wollen Zukunft, wissen aber nicht welche. Sie sind vor allem in Bewegung, reiben sich an der Welt, fügen sich Wunden zu. Aus Spaß wird Ernst, das Stück Himmel bedenklich kleiner und zum Schluss kommt nur einer durch. Denn da gilt es noch zu klären, wer Dirk damals bei der Stasi verpfiffen hat, als dieser aus der DDR abhauen wollte.

Eine heftige, direkte, emotionale Geschichte am Rande der Gesellschaft. Aber nicht nur: Es steht eben Arbeitslosigkeit nicht im Mittelpunkt, eher die Suche nach Perspektiven, die materiell abgesichert werden müssen. Sie wollen etwas, das sie nicht formulieren können – und das es für sie nicht gibt. Sie wollen zusammen sein, doch driften sie auseinander. Sie wollen Luxus und sind doch arme Schweine. Sie wollen Spaß und holen sich blutende Wunden.

Dennoch sehen die Zuschauer keine Tristesse, weil die Drei auf der Bühne aus dem Nichts heraus Auto fahren, Schnee rieseln lassen, saufen und singen. Das die Inszenierung so stark auf die Musik der 1980er setzt, mutet zunächst seltsam an: Sind die Drei doch in der Deutschen Demokratischen Republik aufgewachsen. Sie kannten die Sex Pistols und Fehlfarben im besten Fall aus dem West-Radio. Und doch passt die Musik – nicht zur Vergangenheit, sondern zur immer noch suchenden Gegenwart der Drei. Ein Ausbruchversuch aus dem Hier und Jetzt darf sich vergangener Musik bedienen.