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Kriechstrom im Stadttheater (Teil 2)






Auch hier trägt die Brücke in die Gegenwart. Dies ist vielleicht der Grund dafür, dass Elektra in den vergangenen Jahren an verschiedenen Bühnen in Deutschland erneut entdeckt wurde. Denn der göttliche Auftrag hat seit dem 11. September 2001 wieder Kontur und Konjunktur – vor allem in den oft hilflosen Versuchen derjenigen Zivilisierten, die erklären wollen, warum islamische Fundamentalisten schrecklichen Dinge tun. Wer will, kommt sogar bis zum gegenwärtigen Karikaturenstreit: Das Göttliche gegen die Regeln der laizistischen Welt, die in ihrer demokratischen Ausprägung Pressefreiheit beinhaltet.

Allerdings: Es handelt sich hier um eine Außenperspektive. Ob diejenigen, die andere Menschen aus einem Glauben heraus töten, sich mit Widersprüchen plagen, bleibt unerkannt. Und wer den Rahmen noch größer macht, kommt beim vermeintlichen Clash of Civilizations an, wobei hier Zivilisationen als Kulturen zu lesen sind. Wer von Blutrache spricht, redet auch über Zwangsheirat – und ist mitten in einem Gegenwartsdiskurs.


Frauenpower auf griechisch

Euripides Stück jedenfalls zeigt Emanzipation. Elektra ist eine Frau – und sie ist sehr stark. Überhaupt entwachsen die Figuren dem göttlichen Rahmen. Ein Bauer nimmt Elektra auf, ehrt sie und lässt sie sexuell unberührt. Göttlich ist das nicht. Denn der niedere Stand entwickelt ein Eigenleben. Jenseits transzendenter Kategorien verhält er sich »menschlich«, eine absolute Kontradiktion zum mythologischen Auftrag. Orest erkennt wie der Greis in dem Stück – ein gütiger Freund der Elektra – genau dies. Dass der hohe Stand alleine nichts garantiere, dem zu Folge auch die, die unten stehen, die Guten sein können.

Ist der Konjunktiv erst einmal eingeführt, ist die Verwirrung groß. Das Haus, das zentrale Element auf der von Colin Walker nüchtern eingerichteten Bühne, gerät ins Wanken, schließlich steht es Kopf. Die Verhältnisse sind nachhaltig erschüttert, das Blut an den Händen wirkt nicht mehr wie ein göttliches Zeichen des Imperativs sondern wie die zwangsläufige Farbe eines Verbrechens.

Regisseur Patrick Schimanski besetzte die Rollen durchaus stimmig. Für leichte Verwirrung sorgt, das Harald Gieche sowohl den Greis wie auch den Quasi-Ehemann von Elektra spielt. Die beiden Rollen trennen nur ein Jackett und eine Perücke. Undurchsichtig bleibt das Binnenverhältnis zwischen Orestes, dem Bruder von Elektra, und Pylades. Beide tauchen als ›Men in Black auf‹, mit Reisetaschen voller Waffen. Beide scheinen Gangster. Doch ist Pylades derjenige, der Orestes das Bluthandwerk gelehrt hat. Er ist der Waffennarr, während Orestes zwar mit Waffen spielt, sich des Einsatzes aber nicht sicher ist. Die Beziehung der beiden aber bleibt den Zuschauern verborgen – auch weil Orestes, gespielt von Oliver Baierl, Pylades keines Blickes würdigt: Eine Sonnenbrille verdeckt die Augen.

Die Bielefelder Inszenierung ›Elektra‹ lässt einen Schluss erst zum Schluss zu: Der Zuschauer muss erst um verschiedene griechische Inseln herum, um mitgenommen zu werden. Im Rückblick dann wirken die spannenden langen Pausen, die leicht versetzte Musik Schimanskis, die er bis auf ein Stück von Brian Eno selbst komponierte, und der Beat des Stücks. Dann erst ist es möglich, von einer äußerst gelungen Umsetzung des ziemlich alten Stoffes zu sprechen – und den beklemmenden Gehalt des Gesehenen auch zu spüren.