Webwecker Bielefeld: yankee02

Der ganz normale Wahnsinn (Teil 2)





Männer verstehen nicht viel: Der eine denkt in Lastern, der andere träumt von Holzkonstruktionen


Da bleibt nur der Rückzug auf eine Metaebene, die kulturell auch in Europa Gültigkeit hat. Da liefert Miller Sinnhaftigkeiten wie: Arm sein macht nicht glücklich, reich sein aber offenbar noch weniger. Materielle Not ist bitter. Aber wer zumindest genug zu essen hat, kann dabei auch glücklich sein. Wer hingegen reich ist, hat kein Abo für das Glück. Der Besitz einer Perlenkette als ein funkelnder, aber toter Wert, bedeutet eben kein aufregendes Leben als Perlentaucher. Womit Miller das zweite große Thema des Stückes einführt: Die allgemeine Depression. Neben den vier Hauptdarstellern taucht im Hintergrund der Bühne eine Mitarbeiterin der Anstalt auf. Wie sie im Stakkato-Schritt immer wieder zum Cassettenrekorder geht, um die Seiten des Magnetbandes zu wechseln, die den Tonkopf berühren, kann den Betrachter schon depressiv machen. Nur ihr weißer Kittel schützt sie davor, selbst Patientin zu sein.

So scheint es Zufall, wer auf welcher Seite steht: Im Grunde sind alle irgendwie depressiv, die etwas vom Gang der Welt erkennen, will uns Miller mitteilen. Eine Gesellschaft, die die falschen Werte lebt, lädt eben nicht zum Glücklichsein ein. Es ist das soziale Korsett, das die Menschen erdrückt und in Rollen zwängt, die nur wenigen passen. Auswege sind selten: Als Karen das Steppen für sich entdeckt, meint sie eine Passage gefunden zu haben. Im Glitzer und Glamour ist sie einen Moment bei sich, im Einklang.

Doch was Therapie ist, taugt nicht unbedingt für die Bühne. Dies erfährt sie, als sie vor Frick, Leroy und Patrica tanzt. Angefeuert und gemocht, verstummt sie dennoch. Als Karen loslegt, freuen sich noch alle: Leroy und Patrica freuen sich, dass Karen sich freut. Die tanzt drauf los, wird dann aber langsamer. Ihre Schuhe erzählen auf einmal eine andere Geschichte. Die des Scheiterns. Karen bricht zusammen. Der Zuschauer ahnt, dass ihre eigenen Maßstäbe des Perfektionismus ihren Einklang mit der Musik zum Erliegen bringen.


Ein Lob für die Langsamkeit

Jens Schmidl, der erstmalig in Bielefeld inszenierte, hat eine gute Wahl getroffen: Alles bleibt überschaubar. Endlich mal wieder ein Stück, dass nicht auf Tempo gedrillt ist, in dem die Spieler noch aussprechen und die Zuschauer noch zuhören dürfen. Die Inszenierung wird über weite Strecken konventionell, gut verdaulich und ohne große Überraschungsmomente. In Zeiten, in denen im Theater regelmäßig bunte Knallbonbons gezündet werden, fast schon mutig. Überragend ist die Besetzung: Therese Berger spielt perfekt die gebrochene Frau, die sich in ihrem Wohlstand einschließt. Gleiches Lob gilt für Max Grashof, der als ihr Ehemann Frick mit Hut und Perücke ein wunderschönes Zerrbild des US-Kapitalisten gibt, irgendwo zwischen George Bush und J. R. Ewing.

Harald Gieche glänzt als Leroy, dem symphatischen Tischler, dessen Unfähigkeit, richtig Schotter zu machen, seine Frau Patricia auf die Palme und in die Depression bringt. Die Rolle der Patrica ist Nicole Paul auf den Leib geschnitten. Patricia erwacht aus jahrzehntelangem Drogengedämmere, und schaut nun mit Energie nach vorne, ist sicher aber nicht sicher, wie weit für sie gut ist. Sie einigt sich darauf, lieber nur bis ins morgen zu blicken, weil die großen Ziele machen ihr Angst.

Während Patrica sichtbar aufdreht, sind die anderen Figuren behutsam gezeichnet. Sie scheinen auf der Bühne zu sein, könnten aber auch im wahren Leben herumstehen. Dies ist eine Stärke der Inszenierung, die der Spannung keinen Abbruch tut. Ein Besuch des Stückes lohnt sich, gerade weil die Inszenierung bei der Sache bleibt.


Weitere Aufführungstermine: www.theater-bielefeld.de