Webwecker Bielefeld: buntenbach02

»Der DGB ist offener als sein Ruf« (Teil 2)



Wird die Forderung nach einem Mindestlohn nicht von Tarifabschlüssen kontakariert? So hat ver.di im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst eine Niedriglohngruppe vereinbart.

In einigen Tarifverträgen finden sich Lohngruppen, die unterhalb des Niveaus liegen, das wir für den gesetzlichen Mindestlohn fordern. Das müssen wir als Gewerkschaften verändern. In der Tarifpolitik müssen wir Gewicht darauf legen, dass die Mindeststandards in den unteren Lohngruppen nicht im Armutsbereich sind. Gleichzeitig ist uns aber klar, dass es auch Bereiche gibt, in denen dies sehr schwierig sein wird, beispielsweise bei den Wachleuten, und da besonders in den neuen Bundesländern. Da liegen die Tarife unter 7,50 Euro. Dort hat die Gewerkschaft einfach nicht die Kraft, höhere Löhne zu erkämpfen. Es gibt ausserdem viele weiße Flecken in der Tariflandschaft. Der gesetzliche Mindestlohn soll da künftig eine Auffanglinie darstellen. In einigen Branchen liegen die tariflichen Mindestlöhne allerdings über 7,50 Euro. Dort kämpfen wir dafür, dass das so bleibt. Es wäre fatal, wenn überall das Mindestlohnniveau auf 7,50 Euro absinken würde.



Was sind weitere Themen in der nächsten Zukunft?

Für uns ist auch eine Absicherung von Arbeitlosen wichtig. Arbeitslosigkeit darf nicht missbraucht werden, um Menschen unter Tarif und ohne Sozialversicherung in jede Arbeit zu zwingen. Missbrauchsdebatten gehen an den Fakten völlig vorbei.

Ein zweiter Bereich ist der der Rente und der Gesundheit. Hier hat die Große Koalition Pläne auf den Tisch gelegt, mit denen wir überhaupt nicht einverstanden sind. Diese Pläne durchlöchern den Schutz der sozialen Sicherung weiter. Rente mit 67 heißt für viele nur Rentenkürzung und längere Arbeitslosigkeit. Weil es die Jobs gar nicht gibt, die die Leute bis 67 machen sollen. So werden für Millionen Menschen die Weichen Richtung Altersarmut gestellt. Deswegen wollen wir eine solidarische Rentenreform. Wir müssen die Sozialversicherung auf eine breitere Grundlage stellen. Dies gilt auch bei der Gesundheit. Die Risiken dürfen nicht weiter privatisiert werden und diejenigen, die mehr haben, aus der Verantwortung entlassen werden. Die, die mehr zahlen können, müssen im Gegenteil stärker in die Pflicht genommen werden. Wir müssen auch die Menschen in den neu entstandenen prekären Arbeitsverhältnissen zurück in die Sozialversicherung holen und ihnen damit einen sozialen Schutz bieten.


Ursula Engelen-Kefer war bestens vernetzt in Ministerien und Gremien der Sozialversicherung. Ihre Verbindungen gehen eher zu den Grünen und zur außerparlamentarischen Opposition. Ist Ihre Wahl auch ein Zeichen für eine weitere Öffnung der Gewerkschaften?

Ich freue mich sehr über meine Wahl. Die zeigt auch, dass der DGB offener ist als sein Ruf. Ich habe in meiner Vorstellungsrede deutlich gemacht, dass ich auf neue soziale Bewegungen als Bündnispartner zugehen will, aber auch auf Kirchen, Wohlfahrts- und Sozialverbände. Ich will eine Diskussion über eine Neubegründung des Sozialen anstoßen. Der Sozialstaat ist keine große Geldverbrennungsmaschine sondern ganz zentral für die Integration in dieser Gesellschaft. Um das Klima wieder Richtung Solidarität zu verschieben, brauchen wir als Gewerkschaft Bündnispartner. Wir brauchen allerdings genauso auch gute Kontakte in die Parteien und in die Regierung hinein, um unsere Anliegen vorzutragen.


Ist der DGB überhaupt noch sinnvoll?

Der DGB ist das gemeinsame Dach der Gewerkschaften. Wir koordinieren die Aufgaben und Positionen, um gemeinsam in die Öffentlichkeit gehen zu können, zum Beispiel gegen die Rente mit 67. Das gemeinsame Gewicht in die politische Waagschale zu werfen halte ich für viel erfolgversprechender als wenn dies die Einzelgewerkschaften alleine versuchen. Die Sozialpolitik ist neben der Tarifpolitik, die von den Einzelgewerkschaften betrieben wird, das zweite Feld, wo über Verteilung entscheiden wird.