Webwecker Bielefeld: Freispruch für Abschiebegegnerin (21.06.2006)

Freispruch für Abschiebegegnerin (21.06.2006)






Rund 30 Menschen solidarisierten sich vor dem Prozess mit der Angeklagten vor dem Amtsgericht



Von Manfred Horn

Am Montag endete ein Prozess vor dem Amtsgericht Bielefeld mit einem glatten Freispruch. Birgit T. wurde Nötigung vorgeworfen. Laut Anklage soll sie einen Zivilbeamten der Polizei bei seiner Ermittlungstätigkeit behindert haben. Richterin Wienand sah dies allerdings anders und stellte das Verfahren ein. Die Beklagte muss die Anwaltskosten tragen.

Am frühen Morgen des 30. August 2005 herrschte Aufregung in der Zentralen Ausländer Behörde (ZAB) und im benachbarten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am Stadtholz. Eine »Konzertblockade« versuchte, die Mitarbeiter am Betreten der Gebäude zu hindern. Die Musik steuerte die Gruppe ›Lebenslaute‹ bei. Das basisdemokratische Ensemble ist über die ganze Bundesrepublik verteilt und tritt mit wechselnden Besetzungen bei Demonstrationen und Kundgebungen auf, nicht nur gegen Abschiebungen, sondern beispielsweise auch gegen Atomkraft. Fast drei Stunden lang spielten sie an diesem Morgen unentwegt klassische Musik. Die Konzerte aber immer gewaltfrei, betonen die ›Lebenslaute‹.

Gewaltfreiheit schließt im Selbstverständnis des Ensembles zivilen Ungehorsam jedoch nicht aus. Die Aktion vor der ZAB vor zehn Monaten war der Abschluss der Lebenlaute-Aktionstage »Aufspielen statt Abschieben« im Rahmen der Kampagne »Z-ABschaffen«. Am Tag zuvor, am 29. August, fordern rund 150 Demonstrationen, die von der Innenstadt vor die ZAB zogen, genau dies: Die Zentrale Ausländer-Behörde solle dicht gemacht werden (WebWecker berichtete).

Am nächsten Morgen tauchte ein Teil von ihnen wieder vor der ZAB auf. Mit Musik und Transparenten wurde »kritisch über die Arbeitsweise der ZAB informiert«, wie die Kampagne »Z-ABschaffen« formuliert. Die eintreffenden Mitarbeiter wurden von den rund 30 Demonstranten aufgefordert, ihre Arbeit zu verweigern. Die wollten sich allerdings nicht von ihrer Arbeit abbringen lassen. Birgit T. nun sollte laut Anklage einen Zivilpolizisten, der nicht ganz zufällig vor Ort war, daran gehindert haben, seiner Arbeit nachzugehen. Der Beamte wurde für den Prozess am Montag als Zeuge vorgeladen, erschien aber nicht.


Blockade gegen Unmenschlichkeit

Die Angeklagte las vor Gericht eine Erklärung vor: Sie habe mit anderen an der Aktion teilgenommen, um die »zunehmende Aushöhlung des Asylrechts und die Unmenschlichkeit der Abschiebepraxis durch Politik und Institutionen zu kritisieren«. Mittlerweile sei es kaum mehr möglich, die EU-Außengrenzen zu überwinden. Die wenigen Menschen, die es schaffen, in Deutschland einzureisen, würden einer unmenschlichen Behandlung unterzogen, erklärte Birgit T. vor Gericht.

In den Zentralen Ausländer-Behörden würden sie wie Straftäter registriert und entweder gleich abgeschoben oder willkürlich einer Flüchtlingsunterkunft zugewiesen. Bis Mai 2006 waren Erstverhöre und Sofort-Abschiebungen gängige Praxis in der ZAB Bielefeld. Inzwischen ist der Erstaufnahmebereich der ZAB ebenso wie der des benachbarten Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge geschlossen, die wenigen Flüchtlinge, die es bis nach Bielefeld schaffen, werden in anderen Zentralen Ausländer-Behörden in NRW registriert. Bis dahin wurden jahrelang alle in Bielefeld ankommende Flüchtlinge, einschließlich derer, die ohne Papiere bei Passkontrollen aufgegriffen wurden, zur ZAB gebracht und dort erkennungsdienstlich behandelt. In den Räumen des benachbarten Bundesamtes erfolgte die Anhörung, mit der das Asylverfahren offiziell beginnt. Die Chancen sind dabei sehr niedrig: Nur gut ein Prozent der Flüchtlinge wird in Deutschland überhaupt anerkannt.




Lebenslaute spielten während des Prozesses vor dem Amtsgericht



Birgit T. forderte vor Gericht, dass die Zentralen Ausländerbehörden abgeschafft werden müssen, da sie Teil einer »rassistischen Abschottungspolitik« seien. Dieser Meinung schloss sich das Gericht nicht an, erkannte aber einen »ehrenhaften Anspruch«. Nachdem der Zivilpolizist unentschuldigt dem Verfahren fernblieb, in der Anklage formale Fehler auftauchten und ein Mitarbeiter der ZAB, der als Zeuge erschien, keine eindeutigen Aussagen machen konnte, die auf eine Tatbeteiligung von Birgt T. hindeuteten, stellte das Gericht nach kurzer Beratung das Verfahren ohne Auflagen ein.

Die Aktion vor der ZAB vom 30. August vergangenen Jahres hat aber noch ein weiteres juristisches Nachspiel: Am 12. Juli um 11 Uhr müssen sich zwei weitere Demonstranten der Blockadeaktion vor dem Amtsgericht verantworten, unter anderem Elisabeth R., Mitglied im Flüchtlingsrat und bei den ›Lebenslauten‹. Ihr wirft die Staatsanwaltschaft ein Verstoß gegen das Versammlungsverbot vor. Sie soll die nicht angemeldete Demonstration vor der ZAB organisiert haben.


Das Verfahren gegen Elisabeth R. findet am 12. Juli, 11 Uhr im Amtsgericht, Raum 4056, statt.