Webwecker Bielefeld: Breites Bündnis gegen Neonazi-Aufmarsch (20.09.2006)

Breites Bündnis gegen Neonazi-Aufmarsch (20.09.2006)



Hielten gemeinsam dagegen: (v.l.n.r.) Roland Engels (DGB OWL), ein Sänger aus Aserbaidschan, Regine Burg, Annelie Buntenbach und Eberhard David


Von Manfred Horn

Als am Samstag eine Gruppe »nationale Sozialisten« gerade die polizeilichen Auflagen hinter dem Bahnhof studierte, versammelten sich rund 3.000 Menschen auf dem Jahnplatz, um gegen die Anwesenheit der Neo-Nazis zu protestieren. Aufgerufen hatte zu dieser Kundgebung ein breites Bündnis, das vom Oberbürgermeister bis zum DGB reichte.

So hob Annelie Buntenbach, die seit Mai diesen Jahres im DGB-Vorstand beschäftigt ist, in ihrer Rede auf der Abschlusskundgebung die Intiative des Oberbürgermeisters Eberhard David hervor, Protest gegen die Neo-Nazi-Demonstration zu organisieren. Keineswegs eine Selbstverständlichkeit, gibt es doch inzwischen zahlreiche Städte in der Bundesrepublik, in denen Neonazis aufmarschieren und die lokale Politik hilflos zuschaut.

David selbst erteilte jeglichem Extremismus in der Stadt eine deutliche Absage. »Politischer Extremismus, Rassismus und Antisemitismus haben bei uns keine Chance«, sagte David unter dem Beifall der Anwesenden. David blieb damit auf CDU-Linie, die nicht zwischen Links- und Rechtsextremismus unterscheidet. Dass die Demonstration der Neo-Nazis in Bielefeld dennoch stattfinde, unterscheide »uns von dem, was die Extremisten wollen«. Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen, deswegen werde das Demonstrationsrecht nicht abgeschafft.


Flagge zeigen als Bürgerpflicht

Regine Burg, Superintendentin der evangelischen Kirche in Bielefeld, nahm in ihrer Rede Bezug auf Martin Luther King, der für die Aufhebung der Rassentrennung plädierte und in seiner Rede vor dem Capitol 1963 die Gleichheit aller Menschen erklärte. Und Burg erinnerte an die Fußball-WM 2006 in Deutschland: »Da wurde auch hier auf dem Jahnplatz friedlich gefeiert«, quasi als Ausweis gleichberechtigten Miteinanders. Rechte Demagogen hingegen würden den Frust und die Perspektivlosigkeit vieler Menschen ausnutzen. Gegen Rechtsextremismus Flagge zu zeigen, sei »Bürgerpflicht«. Burg hob besonders den »offenen und friedlichen Dialog« mit Muslimen in Bielefeld hervor und freute sich, dass die jüdische Gemeinde nun eine Synagoge erhalte, die der Größe der heutigen Gemeinde entspreche.

Annelie Buntenbach, in Bielefeld seit langem als engagierte Antifaschistin bekannt, freute sich über den breiten Protest gegen den Neo-Nazi-Aufmarsch: »Marschierende Neo-Nazis sind bislang keine Normalität in OWL. Dies soll auch so bleiben«, erklärte sie und verwies unter anderem auf die Anwohner der August-Bebel-Straße, die sich mit Transparenten an ihren Häusern gegen den Aufmarsch engagierten.


»Für eine freie und soziale Gesellschaft«

Über den Samstag hinaus sei jedoch langfristiges Engagement gegen Rechtsextremismus nötig, alle gesellschaftlichen Gruppen müssten zu ihrer Verantwortung stehen. Das Ziel laute »eine freie und soziale Gesellschaft«, sagte Buntenbach. Zugleich verwies sie auf den gesellschaftlichen Nährboden, der Neo-Nazismus entstehen lasse. »Die spalterische Missbrauchsdebatte gegen ALG-II-Bezieher muss aufhören«, sagte sie. Alle Menschen müssten unabhängig ihrer religiösen und ethnischen Herkunft gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können. Sie erteilte jeglichen sozialdarwinistischen Modellen eine Absage, die die Schwachen nicht mehr unterstütze. Zugleich forderte Buntenbach einen Ausbau des Flüchtlingsschutzes.


 


Die Probleme sind nicht gelöst


Ein Kommentar von Peter Arndt

Für die Neonazi-Szene war der Samstag eine ziemliche Pleite. 150 Kameraden standen hinter dem Bahnhof herum, umgeben von grüner Wiese und Polizei. Unverrichteter Dinge mussten sie wieder abziehen. Ein Erfolg eines breiten Bündnisses, das vom Oberbürgermeister bis hin zur autonomen Antifa reichte. Beide Seiten werden dies nicht gerne hören – David hat mit Linksradikalen genauso wenig am Hut wie die mit ihm. Doch offenbar war es gerade die Mischung aus bürgerlichem und linkem Protest, der die Polizeieinsatzleitung dazu bewog, die Neonazis auf Eis zu legen, respektive in der Sonne schmoren zu lassen.

Bielefeld ist für Neonazis kein gutes Pflaster. Das Haus der Nationalistischen Front in der Bleichstraße war in den 1980ern umkämpft, schließlich musste es aufgegeben werden. Spätere Versuche, Kneipen als Treffpunkte für Rechtsextreme auszubauen scheiterten ebenso an andauerndem Protest. Doch es gibt sie, die Rechtsextremen in der Stadt. Manchmal tragen sie lange Haare und sind nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Von hier aus bereiten sie Aktionen in anderen Regionen Deutschlands vor. Und sicher ist: Sie werden auch als Horde wiederkommen, um öffentlichen Raum zumindest für ein paar Stunden für ihre braune Ideologie zu reklamieren.

Daraus folgen zwei Dinge: Einerseits ist antifaschistische Arbeit immer nötig. Zumindest solange der Kampf um die Köpfe nicht gewonnen ist. Andererseits, und dies folgert daraus, müssen die Zusammenhänge angegangen werden, die eine Neonazi-Szene überhaupt erst entstehen lassen. Denn soziale, ethnische und religiöse Ausgrenzung sind bis heute Alltag und sorgen erst für Menschen, die so frustriert sind, dass sie bereit sind, sich in menschenverachtende und extrem hierarchische Strukturen einzuordnen.

Grotesk wirkt da das Entsetzen der großen Parteien, wenn die NPD in Mecklenburg Vorpommern in den Landtag zieht. Das Wahlvolk – diejenigen, die wählen dürfen: über 18 und deutsch, und diejenigen die wählen wollen, kaum mehr die Hälfte der Berechtigten – hat sich zu einem nicht geringen Teil für die NPD entschieden. Die großen Parteien reagieren darauf hilflos: Einfach weil sie den Menschen nicht viel zu bieten haben außer schönen Reden. Gebe es eine Perspektive für die Menschen in Mecklenburg, würde sich der braune Spuck schnell von selbst erledigen. Doch die große Frage ist, wie die gesellschaftliche Elite, die auf Entsolidarisierung und Abbau des Sozialstaates setzt, diese Perspektiven eröffnen kann.