Webwecker Bielefeld: »Das Haus als Ganzes betrachten« (29.11.2006)

»Das Haus als Ganzes betrachten« (29.11.2006)



Ging zurück in die Geschichte, um die Fehler der heutigen Energiegewinnung zu beleuchten: Hermann Scheer


Von Manfred Horn

Hermann Scheer setzt die Ökologie an die erste Stelle: Ökos ist das Haus, bei der Ökologie gehe es um die Beschaffenheit des ganzen Hauses. Die Ökonomie hingegen kümmere sich um die sparsame Verwaltung des Hauses, sei also der Ökologie untergeordnet. Eine bemerkenswerte Ansicht für einen Sozialdemokraten. Doch Hermann Scheer, seit 1980 Bundestagsabgeordneter der SPD, kämpft seit langem für Umweltschutz und erneuerbare Energien. Sein Engagement hat ihm 1999 den alternativen Nobelpreis eingebracht, auch wenn ihm das wahrscheinlich gar nicht so wichtig ist.

Scheer ist auch Präsident von Eurosolar, einer gemeinnützigen Vereinigung für Erneuerbare Energien mit inzwischen weltweit 20.000 Mitgliedern. Scheer als Festredner zum Jubiläum des Naturkundemuseums – heute namu – einzuladen, ist zugleich Positionierung des Hauses. Denn Scheer nutzte die Aufmerksamkeit der rund 100 Zuhörer, um ein Plädoyer für die Umkehr der Gesellschaft hin zu mehr Ökologie zu halten. Ein Ballonfahrer, so erzählt Scheer, sehe die Welt von oben. Nicht schlecht, weil da lassen sich die großen Zusammenhänge am besten ausmachen. Doch auch ein Ballonfahrer müsse manchmal notlanden, etwa wenn schlechtes Wetter aufzieht. Dann kommt er auf irgendeinem Acker runter, steht in einer Nebelwand und trifft auf einen Menschen. Er fragt ihn, so illustriert Scheer weiter, wo er denn sei. Die Antwort: »Auf dem Acker.« Für Scheer eine präzise Antwort, mit der der Ballonfahrer allerdings nichts anfangen könne. Scheers Schlussfolgerung ist, dass es sich bei diesem Erdling nur um einen modernen Ökonom handeln könne.


Der Ökonom  seziert

Der Ökonom seziert, sieht die Zusammenhänge nicht. Der Ökologe hingegen denke in allen biologischen Lebenszusammenhängen, dies reiche weit über den Naturschutz hinaus, sagt Scheer. Er forderte in seinem Vortrag eine Abkehr von fossiler Energie. Dass die Energie aus den Rohstoffen aus der Erde komme, sei in der Geschichte keineswegs ausgemacht gewesen. Die Autobauer Diesel und Ford setzten zunächst auf alternative Kraftstoffe. Diesel trieb seine Motoren mit Pflanzenöl an, Ford nutzte Alkohol. »Eine historische Zufälligkeit«, sagt Scheer sei das gewesen. Er erinnerte auch an die bereits 1866 von Augustin Mouchot entwickelte erste Solar-Dampfmaschine, bei der die Sonneneinstrahlung mit Hilfe eines Hohlspiegels auf einen Glaszylinder konzentriert wurde und dort Wasser zum Verdampfen brachte. Dafür erhielt er 1878 bei der Pariser Weltausstellung eine Goldmedallie, seine Idee griff die Energieindustrie aber nicht auf. Mit einer Energieversorgung auf nicht-fossiler Grundlage stünde die Welt heute anders da, ist sich Scheer sicher.


Deutliche Absage an Atomenergie

Damit meint Scheer aber nicht die Atomenergie. »Mit Atomenergie können wir eines Tages Grönland in die Riviera verwandeln«, schrieb einmal Ernst Bloch. Schon möglich, meint Scheer, aber was passiert mit den Eismassen, die abschmelzen? Sie würden den Meeresspiegel anheben. Die Atomenergie sei viel zu risikoreich, es gebe eine »Überfixierung« auf sie. »Die Schöpfermacht hat fasziniert, die Risiken wurden übersehen«, sagt Scheer. Denn mit Atomenergie ist die Energiedichte deutlich angestiegen, also die Menge an gewonnener Energie pro Raumvolumen eines Stoffes, immens angestiegen, bis zu Visionen, mit einem einzigen Atomkraftwerk ließen sich 100 Millionen Menschen versorgen. Scheer hält die Richtung für falsch: Die Energiedichte sei nicht entscheidend. Wer etwa Sonnenenergie einsetzt, erreicht nur einen Bruchteil der Energiedichte von Atomkraft. Er lebt aber auf der sicheren Seite, und Platz genug für die Installation von Solaranlagen ist vorhanden. Bei der Atomenergie komme die militärische Nutzung hinzu, dem ersten Verwendungszweck. Als Antwort auf Hitlers Atompläne vor allem von emigrierten jüdischen Wissenschaftlern im zweiten Weltkrieg vorangetrieben, gelingt es heute nicht mehr, den Geist in die Flasche zurückzubekommen. Immer mehr Staaten wollen Atomenergie, oder haben sie bereits. »Es ist die Frage, ob auf Dauer ein Zweiklassen-Völkerrecht durchsetzbar ist«, mahnt Scheer. Einige wenige Staaten dürfen nach diesem Recht Atomwaffen besitzen, die anderen nicht.

In den vergangenen 50 Jahren wurde auf der Erde doppelt so viel Energie verbraucht wie in der ganzen Menschheitsgeschichte. Die fossilen Energieträger werden bald erschöpft sein. Schlechte Aussicht, werden etwa alternative Energien nur zögerlich eingesetzt. »Die Natur wird nur als Sache betrachtet«, sagt Scheer, dabei sei sie etwas, von dem wir Teil sind. »Als Sache betrachtet, isoliert man es«, so habe sich die Wissenschaft von der Universalwissenschaft zur Partikularwissenschaft zurückentwickelt. »Wer wertet die vielen Informationen eigentlich aus«, fragt Scheer. Er verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der es auch möglich macht, dass auch in hundert Jahren noch Menschen auf dieser Erde leben können.


Freuten sich über die 100: Martin Büchner (ehemaliger Museumsleiter), Hermann Scheer, Eberhard David (Oberbürgermeister), Godehard Franzen (Förderverein), Isolde Wrazidlo (namu-Leiterin)