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»Was habe ich falsch gemacht?« (23.07.2003)



Sabine Sauer
Sabine Sauer: Eltern sitzen in der Schuldfalle








Die Eltern von Drogenabhängigen suchen die Schuld bei sich selbst. Die Vorwürfe wollen nicht enden. Doch damit helfen sie weder sich selbst noch ihren abhängigen Kindern. Ein Bericht einer Mutter eines Drogentoten.












Von Manfred Horn

Eltern von Drogenabhängigen machen sich oft die schwersten Vorwürfe oder werden in ihrem sozialen Umfeld als Schuldige ausgemacht. »Eltern sitzen dann in der Falle« sagt Sabine Sauer von der Aids-Hilfe. Doch statt Vorwürfen brauchen diese Eltern Unterstützung. Dass das eigene Kind krank ist oder sogar vom Tod bedroht, belastet Eltern. Oft wissen sie nicht, wie sie damit umgehen können. Und hinzu kommt auch noch, dass ihr Kind kriminalisiert wird.

Wiltrud Heimchen schildert ihre Gefühle als Mutter eines drogenabhängigen Kindes, das letztlich am Drogenkonsum beziehungsweise den miserablen Umständen um die Sucht herum stirbt. »Ganz nah ist wieder der Tag, an dem ich die 1. Spritze zu Hause sehe. Ich habe sie nicht gefunden. Thorsten hat sie mir auf den Tisch geknallt mit den Worten: ›Du wolltest doch wissen, was mit mir los ist!«, schildert Wiltrud Heimchen. Ein Moment, der sie nicht mehr loslässt. Die Frage nach dem Warum taucht auf und: Habe ich etwas falsch gemacht? Bin ich schuld? Sie und ihr Mann kümmern sich um einen Therapieplatz. Doch ihr Sohn Thorsten will dort gar nicht hin. Er ist nur noch selten zu Hause. »Doch wir halten Kontakt, bleiben im Gespräch. Essen, Möglichkeit zur Körperpflege,frische Wäsche, Tabak und ähnliches gibt es für ihn immer«, erzählt Heimchen. Das Ehepaar wird Mitglied in einer Angehörigengruppe von Drogenkranken. »Allmählich lerne ich zwischen meiner und seiner Person zu trennen, dass heißt mein Wohlbefinden nicht nur davon abhängig zu machen, wie er sich fühlt. Dadurch mache ich ihm auch weniger Vorwürfe«, sagt Heimchen. Aber die Vorwürfe, die sie sich selber macht, nehmen einfach nicht ab. Sie sagt zu sich: Ich bin eine schlechte Mutter. Ihre Hilflosigkeit wandelt sich in äußern Aktionismus. Sie schreibt Leserbriefe zum Thema Drogen, verteilt Flugblätter, in denen Entgiftungsbetten gefordert werden.

Das Ehepaar Heimchen feiert dann ihre Silberhochzeit. Es ist 1992, das Jahr mit den meisten Drogentoten in der Geschichte der Bundesrepublik. Thorsten kommt zum Fest, kurze Zeit später auch zum 50. Geburtstag seines Vaters. Dann fahren Heimchens in den Sommerurlaub ins Sauerland. Dort erreicht sie der Anruf, ihr Sohn liege im Koma. Wiltrud Heimchen rennt in den Wald: »Ich schlage auf die Bäume ein und als die Fäuste schmerzen, fange ich an zu schreien. Ich schreie wie ein verletztes Tier, ohne jegliche Tränen. Danach steige ich ganz ruhig ins Auto.« In der Klinik angekommen, eröffnet der Stationsarzt den Eltern, dass ihr Sohn Thorsten eine Strangulationswunde am Hals hat und sein Gehirn durch Sauerstoffmangel schwer geschädigt sei. Wiltrud Heimchen ist fassungslos. Warum Strangulationswunden? Wollte er sich mit einem Strick selbst umbringen? Das kann sie sich nicht vorstellen. Nachher kommt die Umstände ans Tageslicht: Die Polizei nahm ihn am Vortag fest und in U-Haft gesteckt. Obwohl er nach ZeugInnenaussagen stark unter Drogen stand, wurde er nicht ins Krankenhaus gebracht. Die BeamtInnen filzen ihn, nehmen ihm auch sein Hosengürtel ab. Doch die Schnürsenkel lassen sie in den Turnschuhen. »Thorsten hat immer wieder zu uns gesagt: bevor ich mich einsperren lasse, bringe ich mich um«.