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Neues Wohnen in Bielefeld (19.06.2003)



Martina Buhl
Martina Buhl: Gemeinsam lebts sich besser und länger



Beginenhöfe gab es schon im Mittelalter. Frauen organisierten dort ihr Leben. Das Projekt Stattvilla geht eher auf die genossenschaftliche Tradition des 20. Jahrhunderts zurück. Beide Projekte wollen demnächst in Bielefeld siedeln. Der Bedarf für Wohnen und Leben an einem Ort ist jedenfalls groß






Von Manfred Horn

Alternative Wohnformen haben eine vielfältige Geschichte. Anleihen werden sowohl bei genossenschaftlichen Modellen gemacht, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts aus der ArbeiterInnenbewegung entstanden. Viele Projekte der Gegenwart sind aus den Häuserkämpfen der 1970er und 80er Jahre hervorgegangen. Damals wurden Häuser, die leerstanden, besetzt, um sich kostengünstigen Wohnraum anzueignen. Damit war immer auch die Idee verbunden, kollektiv in dem Haus zusammenzuleben. Oft kämpften die Projekte zugleich für eine politische Veränderung der Gesellschaft.

Neben diesen linken Projekten entstanden seit den 1970er Jahren eine Vielzahl von Wohngemeinschaften. Doch beide Ideen haben sich bis in die Gegenwart verändert. Die Praxis zeigte, das WGs häufig nur Gemeinschaften auf Zeit waren, bevorzugt während des Studiums im jugendlichen Alter. Und: Kollektive Momente wurden immer weiter zurückgedrängt oder erschienen oft als nicht lebbar. Das Modell der Zweck-WG entstand. Gemeinsamer Wohnraum hieß günstige Miete. Neben der gemeinsamen WC-Nutzung entstanden aber abgetrennte Kühlschrankbereiche. Jeder wirtschaftete für sich. Und die im Häuserkampf angeeigneten Häuser wurden immer mehr zu reinen Wohninseln, der politische Anspruch sank. Kollektivität wich organisierter Individualität mit gemeinsamer Gartennutzung.

Gegenwärtig sind zahlreiche Wohnprojekte in der ganzen Bundesrepublik dabei, diese Trends als Grundlage für eigenes Wohnen und Leben zu nehmen. Die Kombination von eigenen Räumen und Gemeinschaftsflächen, die Möglichkeit, zwischen Alleinsein und Kollektivsein hin- und her zu wechseln, wird als neues Ideal begriffen. Die meisten InteressentInnen an solchen Wohnprojekten leben zur Zeit alleine. Und sind nicht glücklich damit. Und: Viele haben keinen festen Lebenspartner, keine feste Lebenspartnerin, was mit zunehmendem Alter durchaus Ängste auslöst. Denn wie kann jenseits des klassischen Modells der Kleinfamilie Alter eigentlich auf sozial angenehme Weise gestaltet werden?

In Bielefeld bemühen sich eine Handvoll von Vereinen und Initiativen seit einigen Jahren darum, ihr Wohnen und Leben in Form alternativer Wohnformen umzuorganisieren. Bekannt und realisiert ist die Genossenschaft »Friede den Hütten«, die aus den politischen Kämpfen im Kamphof Ende der 80er Jahre hervorgegangen ist. Die Genossenschaft verfügt inzwischen über mehrere Häuser im Bielefelder Westen.

Die Projekte »Bielefelder Beginenhöfe« und »Stattvilla« hingegen sind neueren Datums. Die Beginenhöfe beziehen sich dabei sogar auf eine noch ältere Tradition: Die der Beginenhöfe des Mittelalters. Die historischen Beginenhöfe waren wirtschaftlich autonome Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften von allein stehenden Frauen und Witwen, die weder in den Stand der Ehe noch in ein Kloster eintreten wollten. Ohne männliche Bevormundung und ohne männlichen Schutz arbeiteten sie auf vielfältige Weise für die Gemeinden und gewannen über vier Jahrhunderte hinweg Einfluss auf das Glaubens- und Wirtschaftleben der Städte. Die Beginen waren dabei kein Orden. Anders als die Nonnen legten sie in ihrer Lebensgemeinschaft kein Gelübde ab, sondern waren frei, jederzeit den Beginenhof zu verlassen.