Webwecker Bielefeld: zwangsarbeiterlesung02

»Aussöhung kann nur die andere Seite betreiben« (Teil 2)



Neben dem offensichtlich Widersprüchlichem, dass den erzwungenen Lebensalltag der 16.500 ZwangsarbeiterInnen in Bielefeld bestimmte, wurde aus den Briefen noch etwas deutlich: Die zurückgekehrten ZwangsarbeiterInnen wurden in ihrer Heimat keineswegs mit offenen Armen entfangen. Die Familie freute sich in der Regel, ihr Kind, ihre Schwester, ihren Ehemann, wiederzuhaben. Doch die ZwangsarbeiterInnen gerieten in der ehemaligen Sowjetunion schnell in die Mühle einer machtpolitisch bestimmten Ablehnung. Der Staat, bis hinunter in seine örtlichen Untergliederungen, beschimpfte die RückkehrerInnen als »Deutsche«, ganz so, als ob sie freiwillig nach Deutschland gegangen wären. Im schlechtesten Fall galten sie als Kollaborateure in Anlehnung die Stalinsche Doktrin, jeder Kriegsgefangene habe nicht genug gekämpft und deswegen das Vaterland verraten. Bis heute gibt es in der ehemaligen Sowjetunion keine Rehabilitierung der ZwangsarbeiterInnen. Eine Pikanterie, die ins Bild passt, merkte Hans Koschnik, ehemaliger Bremer Bürgermeister und UN-Kooridinator in Bosnien-Herzegowina, an: Die Adressen der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen habe man heute nur, weil der ehemalige sowjetische Geheimdienst KGB Akten über diese angelegt habe.

Die Motivlagen, sich mit dem Thema und den Menschen auseinander zusetzen, wurden an diesem Abend deutlich: Koschnik betonte quasi eine Genealogie, indem er sagte: »Ich komme aus einer politisch verfolgten Familie«. Nach seinen Kriegserfahrungen und Gefangenschaft sagte der SPD'ler sich: Ich mische mich ein. Die Parole: Nie wieder Auschwitz, nie wieder Hiroshima. Dann kam der Krieg im ehemaligen Yugoslawien: »Da bin ich desillusioniert worden«. Koschnik, der Vorsitzender der Vereins »Gegen Vergessen - Für Demokratie« ist, will Brücken bauen, nicht nur in Mostar. Und er will einen Prozess der Aussöhnung, nicht Versöhnung: Dies sei, ein kleiner sprachlicher Seitenhieb auf den ebenfalls auf dem Podium sitzenden Pfarrer Jochen Schwabedissen, ein transzendenter Begriff.

Jenseits von gepflegten sprachlichen Abgrenzungen waren sich der Pfarrer Schwabedissen und der Sozialdemokrat Koschnik aber einig: Frieden sei das wichtigste Thema. Schwabedissen, einer der Initiatoren der »Blumen für Stukenbrock«, mahnte aber: »Wir können gar keine Aussöhnung betreiben, dass muss die andere Seite tun«. Und er wandte sich gegen eine verschleiernde Sprache, die Geschichte nivelliere und verfälsche. Eine Sprache, die Ute Frevert, Historikerin an der Universität Bielefeld, nicht im Blick hat. Sie stellte fest, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion bereits viele Forschungen zum Thema ZwangsarbeiterInnen gemacht worden sein. Ein konkretes Bielefelder Forschungsprojekt würde sie sehr wohl unterstützen. Dabei ginge es vor allem um »oral history«, also die Niederschrift mündlicher Erzählungen von Betroffenen. Frevert schlug für die Forschungsarbeit lebenserfahrerene Wissenschaftler vor: »Mit Menschen geht man anders um als mit Akten«.

Frevert fragte auch: »Was bedeutet die Erfahrung der Menschen für uns?«, »Was passiert mit uns?«. Mit Blick in die Zukunft schlug sie vor, Filmmaterial zu erstellen, damit sich auch kommende Generationen noch mit diesem Thema beschäftigen können. Koschnik ergänzte: »Wenn die Zeitzeuginnen nicht mehr da sind, wird es anders werden«. Doch noch gibt es Überlebende. Und Koschnik, ungeschadet der ganzen Debatte darüber, wie den Menschen am besten begegnet werden kann, kommt schließlich doch noch zum Geld: Die finanziellen Hilfen aus der Bundesrepublik seien »zum Schreien«. Und: »Ich rege mich darüber auf, dass wir so langsam sind mit der Auszahlung«. Anfang 2001 versammelte die unter großen politischen Anstrengungen gebildete »Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft« Geld, das an ehemalige ZwangsarbeiterInnen gezahlt werden soll. Bis heute, zweieinhalb Jahre später, sind aber längst noch nicht alle Gelder ausgezahlt.