Webwecker Bielefeld: zwangsarbeiterlesung01

»Aussöhnung kann nur die anderere Seite betreiben« (06.08.2003)



Podiumsteilnehmer
Sorgten für eine kompentente Diskussion: Schwabedissen, Frevert, Koschnik





















Von Manfred Horn

Ehemalige ZwangsarbeiterInnen, es gibt sie noch. Die Bielefelder Sektion des bundesweiten Vereins »Gegen Vergessen - Für Demokratie« rief sie am vergangenen Mittwoch im Theater am Alten Markt ins Gedächtnis zurück. Der Verein nahm 2001 � damals noch unter seinem alten Namen als DGB-Arbeitskreis � Kontakt mit der Moskauer »Memorial-Stiftung« auf, die vor allem in Russland und in der Ukraine aktiv ist. Dort bekam man Adressen von 150 ZwangsarbeiterInnen, die während des 2. Weltkriegs in Bielefeld arbeiten mussten. Etwa 50 der Angeschriebenen, vorwiegend Frauen, antworteten bis heute in Form von Briefen.

Der Verein wählte für die Lesung vier Briefe aus, die von den Bielefelder Schauspielerinnen Therese Berger und Lisa Wildmann vorgetragen wurden. In den Briefen wurde einerseits eine gewisse Skepsis deutlich: Was wollen die in Deutschland von uns? Andererseits die Widersprüchlichkeit der Existenz als ZwangsarbeiterIn: Der Alltag war bestimmt durch arbeiten, Schikane bis hin zur Folter. Aber, und hier liegt der menschliche Widerspruch, es gab auch diejenigen, die den ZwangsarbeiterInnen heimlich geholfen haben. Und überraschende Momente, die gar nicht in das Schema passen: ZwangsarbeiterInnen durften manchmal ohne Kontrolle in die Stadt gehen. Sie hatten zwar nahezu kein Geld, aber dieser kleine Moment der Freiheit entspricht nicht der Vorstellung totaler Repression.

Nach dem konzentrierten und intensiven Vortrag der Briefe durch die beiden Schauspielerinnen begann vor rund 300 ZuhörerInnen eine Podiumsdiskussion zwischen ExpertInnen zum Thema. Vorweg schickte Wolfgang Herzog vom Verein »Gegen Vergessen - für Demokratie« den Wunsch, persönliche Begegnung mit ehemaligen ZwangsarbeiterInnen zu wollen. Er wusste wie alle Anwesenden, dass die Zeit dazu drängt. Die Zahl derjenigen, die noch leben, wird täglich kleiner. Praktisch, dass der Psychiater Nils Pörksen als Podiumsteilnehmer dann auch gleich fragte: »Mit welchem Motiv machen wir was?« Er warnte vor »Betroffenheitseuphorie«. Ob Geldspenden, persönliche Besuche oder die Aussage: �Es tut uns leid, erzählt wie es war� der richtige Weg sei, ließe sich nicht in den Kategorien �richtig� und �falsch� beantworten. Auch die Überlegung, ehemalige ZwangsarbeiterInnen einzuladen oder sie zu besuchen, hänge von der Konstitution der Betroffenen ab: »Manche, aber nicht alle, bekommen vielleicht noch mal Kraft für ihr Leben«. Für wichtig erachtete Pörsken, dass ein begonnener Kontakt gehalten werden müsse: »Wer Kontakt zu den Zwangsarbeitern aufnimmt, geht Verbindlichkeiten ein«.

Dass sich die Briefeschreiberinnen so detailliert an Orte und Vorgänge erinnern können, die bereits 60 Jahre zurückliegen, erklärt Pörksen ganz menschlich: »Wenn Sie in so einer existenziellen Lage sind, dann prägt sich vieles ein«. Überhaupt weigerte sich Pörksen, die Briefe samt den dahinterliegenden Subjekten zu psychologisieren: »Ich will nicht die psychiatrische Brille nehmen, wenn ich die menschliche Brille so direkt vor mir sehe«. Besser als die Frauen in ihren Briefen könne man nicht berichten. Wer hier eine therapeutische Perspektive einnehme, laufe in Gefahr, schnell nicht nur zu psychologisieren, sondern auch zu pathologisieren. Man solle nicht versuchen, hinter einen Vorhang zu schauen, den es nicht gibt. Und: Die Abstraktionsebene sei nicht nötig, wo doch das Konkrete so offensichtlich sei.