Webwecker Bielefeld: Erinnerung

Nachruf auf die Bielefelder Holocaust-Überlebende Renate van Hinte-Kamp



Renate mit ihrem Vater Julius Kamp. Bielefeld 1938
„Darf ich vielleicht einige Tränen vergießen?“, schrieb Renate van Hinte-Kamp der Friedensgruppe der Altstädter Nicolaigemeinde zurück, die sie 1998 zur Übergabe des Mahnmals am Hauptbahnhof eingeladen hatte: „Bin leider eine Heulsuse!“
Niemand sonst hat sie so gesehen. Kritisch und temperamentvoll wird sie von ihren Freunden genannt, herzlich und wunderbar, würde- und humorvoll, selbstironisch und klug.

Renate Kamp wurde am 14. September 1925 in Bielefeld als einziges Kind eines bekannten Rechtsanwalts geboren. Sie las viel, lernte leicht, wuchs zunächst mit einem nichtjüdischen Kindermädchen auf, das der Familie nach Erlass der Nürnberger Rassegesetze verboten wurde.
Der letzte Schultag des 13-jährigen Mädchens, das so gern Medizin studieren wollte, war der 10. November 1938. In der Nacht hatte die Synagoge gebrannt, am Morgen wurde der Vater verhaftet und für zwei Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Am 5. Januar 1939 gingen Vater und Tochter ins niederländische Exil. Mit einem Handkoffer und zehn Reichsmark.

Im Krieg waren die Niederlande nicht mehr sicher. Renate Kamp wurde am 18. Januar 1944 nach Theresienstadt deportiert. Dort traf sie eine Woche später ihren Vater und seine zweite Frau wieder; gemeinsam wurde die Familie nach Auschwitz deportiert. Die Eltern wurden gleich nach der Ankunft am 18. Oktober 1944 vergast.
Auch Onkel, Tante und deren Familien wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Renate Kamp hat als Einzige überlebt. Die damals 19-Jährige musste Zwangsarbeit leisten. Über Auschwitz schrieb sie in dem Buch „Anne Frank war nicht allein“: „Es ist, als ob man neben sich steht und sich selbst sieht. Man ist kahlgeschoren, hat Lumpen an, ist sich vollkommen fremd.“
Im Mai 1945 machte sie sich schwer krank auf den Rückweg nach Amsterdam. Ihr Zug fuhr über Bielefeld. „Ich mochte es nicht mehr sehen. Es war zuviel geschehen inzwischen“, schrieb sie.