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Wer hat hier den Schaden? (Kommentar, 23.04.2003)



Kommentar von Mario A. Sarcletti


In der vergangenen Woche wurde das Verfahren gegen den ehemaligen Polizeipräsidenten Horst Kruse sowie die Polizeidirektoren Uwe Gebranzig und Heinz Haubrock gegen Geldzahlung eingestellt. Dazu ein Kommentar von Mario A. Sarcletti

Der Prozess um das Bielefelder Drogenkonzept, auch Kruse-Prozess genannt, ist zu Ende. Ein Grund für die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens dürfte die Aussage des ehemaligen Leiters des Drogenkommissariats, Manfred Hudalla, sein. Einige Prozessbeobachter vermuten, dass die Staatsanwaltschaft die Vernehmung des Zeugen Hudalla durch die Angeklagten und ihre Anwälte verhindern wollte. Die Aussagen des Kommissars könnten in dem Meineidverfahren gegen die Staatsanwälte eine Rolle spielen, die vor dem Bielefelder Landgericht als Zeugen aussagten. Gegen sie ermittelt die Staatsanwaltschaft Bochum.

Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer, Sprecher der Staatsanwaltschaft Münster, nennt ebenfalls die Aussage Hudallas als einen Grund dafür, dass seine Behörde dem Prozessende, das der Vorsitzende Richter Dieter Fels bereits Anfang März vorgeschlagen hatte, nun doch zugestimmt hat. »Wir wollten zumindest noch den Hauptgeschädigten dieses Verfahrens, den Zeugen Hudalla, hören«, sagte Schweer nach Prozessende.

Hudalla der Hauptgeschädigte? Da irrt der Herr Oberstaatsanwalt, Opfer der Provinzposse sind andere. Zuallerst die Mitarbeiter von Drogenhilfeeinrichtungen im ganzen Land. Die versuchen tagtäglich Schwerstabhängigen eine Perspektive zu ermöglichen und können dafür, dass Drogenabhängige Drogen konsumieren und handeln, auf der Anklagebank landen. Wie Piet Schuin, Michael Wiese und Wolfgang Rossel, die für die Realitätsferne des Betäubungsmittelgesetzes (BTMG) mit mehrjährigen Ermittlungen und dem damit verbundenen Stress, 100.000 Euro für ihre Anwälte und mehreren tausend Euro für die Verfahrenseinstellung bezahlten.

Apropos bezahlen: Einen finanziellen Schaden haben auch die Steuerzahler, die für die Kosten der mehrjährigen Ermittlungen aufkommen müssen und dafür, dass sich zwei Monate lang vier Richter, vier Schöffen, ein halbes Dutzend Staats- und ein Dutzend Rechtsanwälte ein- bis zweimal wöchentlich im Bielefelder Landgericht einfanden: Die Prozesskosten der Polizeibeamten zahlt das Land.

Geschädigt ist aber auch das Drogenhilfekonzept, das auf den drei Säulen Repression, Prävention und Überlebenshilfe aufbaut. Diese dritte Säule, die Schwerstabhängigen - ein auch menschenwürdiges – Überleben ermöglicht, ist durch übereifrige Drogenkommissare und Staatsanwälte, die von einer drogenfreien Gesellschaft träumen, beschädigt. Was den Mitarbeitern der Bielefelder Drogenberatung widerfuhr, droht auch den Sozialarbeitern in anderen Einrichtungen. Diese Gefahr bestand aufgrund der Rechtslage theoretisch seit es niedrigschwellige Angebote gibt. Die Bielefelder Staatsanwälte haben sie jetzt praktisch erfahrbar gemacht.

Deshalb ist zu hoffen, dass der »Justizskandal noch nicht zu Ende ist«, wie sich der ehemalige Polizeipräsident Kruse ausdrückte. Zum einen muss endlich eine Reform des BTMG erfolgen, die der Existenz von Drogen in dieser Gesellschaft Rechnung trägt. Eine solche Reform würde die Mitarbeiter in den Einrichtungen bei ihrer schwierigen Arbeit entkriminalisieren. Zum anderen muss der Verdacht aufgeklärt werden, den Richter Fels in Zusammenhang mit den Zeugenaussagen Hudallas und der Staatsanwälte formulierte: »Einer könnte gelogen haben.« Würde dieser Verdacht ungeklärt bleiben, wäre auch der Rechtsstaat beschädigt.