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Demente Staatsanwälte (Teil 2)



Dieser Eindruck rührt möglicherweise daher, dass die bisher eher selektiv vorgetragen wurden. So zitierte Fels einen entlastenden Vermerk erst auf Antrag der Verteidigung. Entlastendes wolle man bei Gelegenheit einführen, so Fels, bevor er den Vermerk doch verlas. Indem meldete der Leiter der Hauptwache der Polizeiinspektion Ost, Erhard Küster, seinem Vorgesetzten Thomas Kubera, dass keine Rechts- und Handlungsunsicherheit bezüglich des Vorgehens gegen Prostituierte am Bahnhof bestehe. Kubera hatte zehn Tage zuvor in einem Vermerk das Gegenteil behauptet.

Zum Teil scheint in den Akten auch entlastendes Material zu fehlen. So hatte die Stadtwache in einem Schreiben eine drogenabhängige zitiert, die sich beschwerte, dass in der Naharyastraße immer mehr professionelle Prostituierte auftreten würden. „Mit denen vor Ort kann man kein Geld verdienen“, habe diese sich beschwert heißt es da. Ein handschriftlicher Vermerk von Uwe Gebranzig, dass diese Bemerkung inakzeptabel sei, fehlt allerdings in den Kopien der Akten, die Beamte des Landeskriminalamtes im Polizeipräsidium beschlagnahmten. Einer der Anwälte von Gebranzig, Dr. Dieckmann, fordert daraufhin, im weiteren Verlauf des Verfahrens die Originalakten beizuziehen. Das könnte dazu führen, dass der Prozess vertagt werden muss und erst in einigen Monaten weitergeht. Über einen entsprechenden Antrag des Kruse-Anwalts Wegener hat das Gericht bislang noch nicht entschieden.

Anschließend war der Vorwurf des „vorsätzlichen Gewährens von Gelegenheit zu Handel und Konsum von illegalen Drogen“ Gegenstand der Verhandlung. Wolfgang Rossel, Leiter der niedrigschwelligen Beratungs- und Kontaktstelle in der Wilhelm-Bertelsmann-Straße, berichtete bei der Befragung durch den Vorsitzenden von der schwierigen Arbeit in der Einrichtung. Er vermied es dabei, die Namen seiner Klienten zu nennen. Rossel erzählte von nicht-abhängigen Dealern, die versuchten die Einrichtung für ihre Zwecke zu nutzen und davon, wie die Mitarbeiter gegen diese Dealer vorgingen. Er berichtete von einem psychisch Kranken, der immer wieder gekommen sei und unter Alkohol- und Medikamenteneinfluss versucht habe, sich selbst den Kopf abzutrennen. Und er beschrieb bei der Befragung, wie ein kickboxender Hüne den Wachdienst angegriffen habe. Man habe damals über den Notruf die Polizei gerufen, da man alleine mit dem gewalttätigen Mann nicht fertig geworden sei, so Rossel. Dreißig Minuten habe es gedauert, bis ein Streifenwagen gekommen sei. Die Beamten hätten einen Platzverweis gegen den Mann ausgesprochen und seien wieder weggefahren, erinnert sich Rossel. Sobald der Streifenwagen weg gewesen sei, wäre der Schläger, der im Übrigen inzwischen wegen Mordes oder Totschlags in Haft sei, wiedergekommen. Erst als abermals zwei Streifenwagen gekommen seien und gewartet hätten, bis der Kampfsportler den Bereich der Einrichtung tatsächlich verlassen hatte, sei die Gefahr gebannt gewesen.

Wolfgang Rossel beschrieb aber auch, dass einige Polizisten sehr fleißig gewesen seien. Immer wieder seien Beamte ohne konkrete Aufgaben auf das Privatgelände gekommen. „Wir machen die Einrichtung auf, ein Streifenwagen fuhr auf das Gelände. Wenn wir auf den Wagen zugegangen sind, haben die Gas gegeben und sind wieder runter vom Gelände“, erinnerte sich Rossel. Auch hätten sich Zivilbeamte geweigert, sich auszuweisen. Die Klientel sei durch solche Observationen sehr beunruhigt gewesen, beschrieb er die Konsequenzen. Bei konkreten Ermittlungen hätten Polizeibeamte natürlich Zutritt zu dem Gelände gehabt. Die Aussage von Abhängigen gegenüber Beamten, dass diese keinen Zutritt hätten, stimme nicht, sei aber vergleichbar mit der ebenso falschen Einschätzung von neu ankommenden Abhängigen, dass sie gekommen seien, weil sie in der Beratungsstelle Drogen konsumieren dürften.