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Bohrende Fragen im Prozess ums Drogenhilfekonzept (19.02.2003)



Am vergangenen Donnerstag begann der Richter mit der Befragung der Angeklagten Polizeispitze. Im Zentrum stand vor allem der Umgang mit den drogenabhängigen Frauen, die in der Naharyastraße der Prostitution nachgehen.




Von Mario A. Sarcletti

»Es geht hier, wie ich merke, um jede Formulierung«, bemerkte der leitende Polizeidirektor Heinz Haubrock gegen Ende des vierten Prozesstages vor der 2. Großen Strafkammer des Bielefelder Landgerichts leicht pikiert. Vor der muss er sich gemeinsam mit dem ehemaligen Polizeipräsidenten Horst Kruse und Polizeidirketor Uwe Gebranzig seit dem dritten Februar verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen wie den leitenden Mitarbeitern der Drogenberatung, Piet Schuin, Michael Wiese und Wolfgang Rossel vor, Drogenabhängigen in der niedrigschwelligen Kontakt- und Anlaufstelle in der Wilhelm-Bertelsmann-Straße Konsum und Handel von illegalen Drogen ermöglicht zu haben. Die Polizeibeamten sind zusätzlich wegen Verfolgung Unschuldiger und der Förderung der Prostitution angeklagt.

Letzteren Anklagepunkt brachte ihnen die Haltung der Polzei gegenüber den drogenabhängigen Frauen ein, die in der Naharyastraße am Bahnhof der Beschaffungsprostitution nachgehen. Seit 1995 standen den Frauen Streetworkerinnen der AIDS-Hilfe zur Verfügung. Neben der Gesundheitsförderung sollten sie vor allem auch die Frauen unterstützen, die gewalttätigen Freiern in die Hände gefallen waren. Seit die Streetworkerinnen vor Ort sind, wurden 44 schwere und schwerste Sexualdelikte angezeigt, davor kein einziges.

Schnell setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Streetworkerinnen nur dann effektiv arbeiten können, wenn der Verfolgungsdruck auf ihre Klientinnen nicht zu groß ist. Die Polizei beschloss deshalb nur dann gegen die Frauen vorzugehen, wenn sie den Tatbestand der beharrlichen Prostitution erfüllen. Am vergangenen Donnerstag zitierte der Vorsitzende Richter Dieter Fels aus den entsprechenden Verfügungen und hält den Angeklagten Vermerke aus den vergangenen Jahren vor. In einem Vermerk des Leiters der Polizei-Inspektion (PI) Ost, Thomas Kubera heißt es etwa unter Bezugnahme auf ein Gespräch mit Heike Lütgert, Leiterin des für Sexualstraftaten zuständigen Kommissariats und Uwe Gebranzig aus dem Jahr 1998: »Der ET (Einsatztrupp, d. Verf.) PI-Ost nimmt die Kontrolle des Verkehrs von Freiern und nicht-drogenabhängigen Frauen wahr.« Richter Fels wollte wissen, ob das bedeutete, dass die drogenabhängigen nicht verfolgt wurden. Das wird nämlich in der Anklageschrift behauptet. Die unterstellt, dass die Polizeiführung die »Einkommenssituation der drogenabhängigen Frauen« hätte verbessern wollen, indem sie die nicht-drogenabhängigen Prostituierten aus der Naharyastraße vertrieb. Uwe Gebranzig erklärt jedoch, dass der ET PI-Ost immer schon für die drogenabhängigen zuständig war, für die nicht-drogenabhängigen hingegen der ET der Abteilung Zentrale Kriminalitätsbekämpfung (ZKB), weshalb letztere explizit erwähnt worden seien.