Webwecker Bielefeld: drogenhilfe03

Politischer Prozess (Teil 3)



In seiner Erklärung kritisiert Schuin auch die Ermittlungsbehörden. Über die Medien habe es den Versuch der Vorverurteilung gegeben. Denen sei zum Beispiel im Fall eines verhafteten Dealers mitgeteilt worden, dass der in 105 Fällen in der Bertelsmannstraße gedealt hätte. »Und später stellt sich dann heraus, dass es 102 Fälle auf dem Jahnplatz und drei in der Einrichtung waren.« Auch manche Politiker hätten über die Presse versucht Stimmung gegen die Drogenberater zu machen, verweist Schuin auf eine Pressemitteilung der FDP. In ihr wird behauptet, dass sich achtzig Prozent der Drogenszene in OWL in der Wilhelm-Bertelsmann-Straße versorgt hätten. Bei täglich 80 bis 160 Besuchern der Einrichtung erscheint diese Vermutung tatsächlich eher unwahrscheinlich.

Nach Schuin hat Michael Wiese die Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Er beginnt seine Ausführungen mit einer Darstellung der Entwicklung der Drogenszene und entsprechender Hilfsangebote seit den 60er Jahren in der BRD und in Bielefeld. Damals schwappten die sogenannten Drogenwellen über Europa, der ursprüngliche drogentherapeutische Ansatz funktionierte nicht mehr. Er folgte der Leidensdruckthese: Den Abhängigen müsse es erst so richtig dreckig gehen, dann würden sie quasi von selbst den Drogenkonsum abbrechen. Dann würde die Drogenberatung eingreifen. »Das ist so, als ob ich mit einem Problem zu einem Rechtsanwalt gehe, und der sagt mir: Löse erst dein Problem, dann kannst du wiederkommen.« Damit dieser Vorgehensweise viele Abhängige nicht erreicht wurden und das Elend der Szene immer größer wurde, entstand Ende der 70er Jahre deshalb der niedrigschwellige Ansatz.

Der werde im Übrigen auch in anderen Problemfeldern angewandt, erläutert Wiese. Er wählt das Bild des Umweltschutzes. Als man das Risiko entdeckte, das Abgase für die Umwelt bedeuten, habe man ja auch nicht die Autos abgeschafft, sondern Katalysatoren eingebaut, um die Risiken zu minimieren. »Und der Spritzentausch zum Beispiel ist so etwas wie ein Katalysator.« Durch den Umtausch von gebrauchten Spritzen in sterile verhindere man Infektionskrankheiten wie HIV/AIDS oder Hepatitis. Damit minimiere man das Risiko beim Drogengebrauch, auch wenn man den keineswegs billige. Es gelte das Überleben der Klienten zu sichern. »Denn nur wer überlebt, kann abstinent werden«, weiß Wiese.

Aus über zwanzig Jahren Erfahrung weiß er aber auch, dass, »wenn drei Abhängige zusammenkommen, gehandelt und konsumiert wird.« Dass die Süchtigen dabei sehr geschickt vorgehen zeige eine Razzia in der niedrigschwelligen Einrichtung in Bochum im vergangenen Dezember. Trotz des Einsatzes von fünfzig Beamten mit Hunden habe die Polizei kaum Drogen beschlagnahmen können. Dafür habe die Putzfrau danach beim Saubermachen jede Menge gefunden, erzählt Wiese.

Gegen 16 Uhr beendet der Vorsitzende Richter Dieter Fels den ersten Verhandlungstag mit Rücksicht auf den angeschlagenen Gesundheitszustand des Angeklagten Uwe Gebranzig, der noch in der vergangenen Woche an einer Lungenentzündung litt. Michael Wiese wird seine Einlassung am Donnerstag um 9 Uhr fortsetzen. Auch dann werden wieder Prozessbeobachter aus anderen nordrhein-westfälischen Drogenberatungen anwesend sein.