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Brief von Sajenko, Praskowja Fedosejewna



Sajenko, Praskowja Fedosejewna

Diesen Brief aus der Ukraine schreibt ihnen Sajenko, Praskowja Fedosejewna. Ich wohne im Gebiet Dnepropetrowsk. Im Zweiten Weltkrieg wurde ich nach Deutschland zur Zwangsarbeit vertrieben. Damals lebte ich mit meiner Mutter und Großmutter im Dorf Kapulowka des Rayons Nikopol. Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt an der Front. Im September – Oktober 1942 kam zu uns ein Kommandant und gab uns für die Vorbereitungen nach Deutschland drei Stunden. Wir wurden dann in die gewöhnlichen Eisenbahnwaggons geladen. Wir fuhren sehr lange aufgrund der häufigen Bombenangriffe. Wir waren sehr hungrig, es war sehr kalt, die Läuse quälten uns. Deutsche Soldaten mit Hunden bewachten uns. Am 14.Oktober 1942 kamen wir in Bielefeld an.

Zuerst brachte man uns zur Badestube, dann gab man uns die Kleidung, auf dem Ärmel war OST angenäht.

Ich arbeitete in einer Fabrik Ewald Euscher, ihr Besitzer war nach meiner Schätzung etwa 70 Jahre alt. Ich führte dort Schweißarbeiten an einer Werkbank aus. Da ich für diese Werkbank zu klein war, machte man mir eine Fußbank. Wofür die hergestellten Einzelteile vorgesehen waren, wußten wir nicht.

Die Fabrik wurde von Wachleuten bewacht. Wir wohnten auf dem Fabrikgelände. Einmal am Tag gab man uns zum Essen: Spinat, Steckrüben, Brühe. Es kam aus einer Großküche, die das Essen für 3000 Menschen machte. In der Suppe schwamm Verpackungspapier von der Margarine und anderer Müll. Für eine Woche bekamen wir 2 kg Brot. Nachdem daraus kleine Holzstücke und andere Beimischungen entfernt wurden, blieb vom Brot fast gar nichts über.

Es tut weh, sich an solche Ereignisse zu erinnern. Im Gedächtnis gibt es aber auch andere Erinnerungen. In der Fabrik haben wir zusammen mit den Deutschen gearbeitet. Marta, Maria und Elsa sind mir in Erinnerung geblieben. Sie waren nette und gute Menschen. Sie brachten mir kleine Butterbrote etwa 50 g und versteckten sie zwischen den Ersatzteilen. Ich nahm unauffällig die Butterbrote und aß sie auf der Toilette. Leider kann ich mich an die Familiennamen der Frauen nicht erinnern.

Ich erinnere mich daran, wie einmal eine der Frauen zwei Strickjacken mitbrachte, obwohl sie wußten, welche Folgen es hätte haben können. Ich weiß noch ihre Farben: weiß und rosa. Ich danke diesen Frauen für ihre Herzensgüte. Ich würde diese lieben Menschen gerne wiedersehen.

Da gab es noch einen Vorfall.
Neben unserer Fabrik wurden russische Gefangene in die Straßenbahn gesetzt. Ich erkannte einen von ihnen, es war mein Onkel. Ich freute mich natürlich und wollte ihm ein Päckchen mit einem Stückchen Steckrübe und einer Möhre geben. Einer von der Polizei sah dieses Päckchen, nahm es und warf es in den Müll. Und ich wurde zur Polizei gebracht. Man unterstellte mir, daß ich den Gefangenen Schnaps und Zigaretten bringen würde. Man wollte mich in das KZ schicken. Sie riefen meinen Chef an, und er kaufte mich dann für einhundert Mark frei. Danke ihm dafür. Ich war damals 17 Jahre alt und sehr verängstigt. Gott sei Dank, daß es gut ausging.