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Integration bedeutet, dass man auch wieder gehen kann



Markus Kaiser
Kaiser: Die Fälle von Kriminalität werden von den Medien aufgebauscht.



Der Soziologe Markus Kaiser ist Projektleiter beim ›Zentrum für Deutschland- und Europastudien‹ in der Universität Bielefeld und bereitete die vom 26. bis 29. Februar stattfindende Tagung »Russlanddeutsche in Russland und Deutschland« mit vor. Er ist auch Autor eines soeben erschienenen Buches: ›Auf der Suche nach Eurasien. Politik, Religion und Alltagskultur zwischen Russland und Europa‹.













Interview Manfred Horn


WebWecker: Die Tagung trägt den Titel ›Zuhause fremd – Russlanddeutsche in Russland und Deutschland›. Auffällig, dass auch die Fremde in Russland betrachtet wird.

Markus Kaiser: Das Thema lässt sich nicht, wie sonst häufig, auf hiesige Integrationsprobleme und auf das Auswanderungsproblem mit dem damit verbundenen Verlust von Fachkräften in Russland reduzieren. Unsere Frage: Spielt sich da nicht auch etwas Transnationales ab?


Transnationalität: Ein Begriff, der sich unterschiedlich interpretieren und auch funktionalisieren lässt. Es könnte ein Begriff sein, unter dem die Bundesrepublik in der ehemaligen Sowjetunion eine Infrastruktur aufbaut, um die Auswanderung nach Deutschland zu verhindern.

Das würde für die Politik heißen, dass man sich auch schon Russland um die Russlanddeutschen kümmert. Was man bereits macht durch die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, die dort beispielsweise Bäckereien fördert und deutsche Häuser, in denen Sprachkurse gemacht werden können.


Förderung zum Verbleiben oder Förderung zum Auswandern nach Deutschland?

Die Lebensumstände lassen sich mit den minimalen Mitteln, die dort eingesetzt werden, nicht so nachhaltig verbessern, dass das Migrationsmotiv wegfällt. Aber anders könnte auch der russische Staat, indem er mehr gegen Ausgrenzung der Deutschstämmigen vorgeht, einen eigenen Beitrag leisten. Bei den Sprachkursen ist dann schon die Frage: Macht man das, damit die Menschen dort ihre Kultur wahren können oder erklärt man ihnen dort, wie man einen Ausreiseantrag ausfüllt. Die Menschen gehen nicht nur aus ökonomischen Gründen weg, sondern auch wegen einer gewissen Ausgrenzung. Allerdings müsste man von deutscher Seite bei den Auswanderungswilligen auch ein realistisches Bild erzeugen: Denn die meisten Russland-Deutschen haben hier dann erhebliche Probleme, da sie oft keine Arbeitsplätze bekommen.


Gibt es transnationales Handeln durch die Zugewanderten?

Es ist durchaus so, dass ein Teil der Familien transnational aufgestellt ist. Das heißt beispielsweise, dass Kinder hier hin geschickt werden, um Bildungsabschlüsse zu machen. Teilweise wird auch hier erwirtschaftetes Geld in der ehemaligen Sowjetunion reinvestiert. Genau wie bei türkischen Migranten, die ihren Lebensabend in der Türkei verbringen, gibt es auch diejenigen, die in die GUS zurückkehren. Die Trennung ist für sie nicht so eindeutig, eher künstlich: Es ist für sie schwer zu sagen, hier bin ich am Ankunftsort, dort bin ich am Herkunftsort.