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Integration bedeutet, dass man auch wieder gehen kann (Teil 2)



Das hat bei einem Teil der Auswanderer zur Folge, dass sie die Integration hier gar nicht besonders betreiben, weil sie irgendwann wieder zurückkehren wollen. Das muss man auch anerkennen. Integration aber, auch von der gesetzlichen Lage, bedeutet eine volle Integration auf Dauer vor. Die wirkt auch abschreckend. Eine Integration, die nur darauf ausgerichtet ist, dass diese Menschen deutsch lernen und ihre russischen Wurzeln, Sprache und Kultur, zumindest runterspielen, ist der falsche Weg. Ganz nach dem Motto: Ihr seid ja schließlich Deutsche, pflegt nichts Russisches. Was sie in der Realität aber sowieso tun. Das sieht man in Bielefeld beispielsweise an Hand der Zunahme von russischen Produkten in Supermärkten.


Transnationalität als Motiv, die deutsche Sprache nicht richtig zu lernen? Könnte es aber nicht auch ein anderes Verständnis von Transnationalität geben, nämlich in dem Sinne, dass der jeweilig aktuelle Ort angenommen wird, also auch die deutsche Sprache?

Es kann beides bedeuten. Voraussetzung ist die Chance der Integration und auch das Verständnis in der Gesellschaft – dass es in Ordnung ist, wenn Türken möglicherweise später in die Türkei und die Russlanddeutschen nach Russland zurückgehen. Die Gesellschaft muss den temporären Status der Menschen akzeptieren. Der positivste Fall von Integration ist, dass die Menschen sowohl in Russland wie in Deutschland akzeptiert und integriert sind.


Ist Transnationalität ein neues Phänomen?

Früher, also in den Zeiten der Sowjetunion bis Anfang der 1990er Jahre, konnte man gar nicht zurück. Da war Auswanderung eine Einbahnstraße. Die Hauptmigrationwelle kam aber auch erst danach, als die Nachfolgestaaten der Sowjetunion Ausreisen gewährten . Seither gibt es auch ein mögliches Zurück.


Sind Aussiedler Ausländer? Auch wenn dies nicht dem Selbstverständnis der meisten Aussiedler entsprechen mag, auch nicht der politischen Doktrin einer ›Gesellschaft für bedrohte Völker‹, so sind sie doch wahrscheinlich zunächst fremd in der bundesrepublikanischen Gesellschaft.

Das ›Institut für interdisziplinäre Gewaltforschung‹ der Uni Bielefeld geht mit den gleichen Analyseschablonen an Aussiedler und Ausländer heran. Entscheidend ist eben der Migrationshintergrund. Zwar bekommen Aussiedler ausländerrechtlich einen anderen Status, sie werden gesondert und privelegiert behandelt. Sozialwissenschaftlich aber sind sie als Menschen mit Migrationshintergrund zu betrachten und damit vergleichbar mit Ausländern.


Wer ist eigentlich verantwortlich für das doch auf wenige Stereotypen reduzierte Bild der Russland-Deutschen? Jugendliche Aussiedler werden oft mit Kriminellen gleichgesetzt, manche sprechen von Ausländern, andere von Volksdeutschen. Es sind offensichtlich nicht die Russland-Deutschen selbst, die diese Bilder produzieren.

Das sind sicher die Medien. Gleichzeitig ist sicherlich auch ein Integrationsproblem vorhanden. Es gibt Städte wie Ludwigsburg oder Chemnitz, wo Aussiedler sehr ghettoisiert leben. Da ist dann tatsächlich eine gewisse Aggressionsbereitschaft vorhanden. Oder auch in Berlin, wo sich türkische Gangs und russlanddeutsche Gangs auseinandersetzen. Eine gewisse Kriminalitätshäufung lässt sich nicht leugnen. Aber, man sollte als Vergleichszahl nicht den bundesdeutschen Querschnitt nehmen, sondern die mit den entsprechenden Einkommensschichten. Ladendiebstahl, also niedrigschwellige Kriminalität, ist kein typisches Phänomen des wohlhabenden Bürgertums.