Webwecker Bielefeld: existenz02

Existenzminimum in der Abwärtsspirale (Teil 2)



Dabei setzen die Regelungen des SGB II den Grundsicherungsbedarf niedrig an, um diese Leistung mit einem Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu versehen. Die Gesamtheit der Regelungen des SGB II soll den Weg für den Ausbau eines Niedriglohnsektors ebnen; eine Vermittlung in Arbeit soll "um jeden Preis" möglich werden. Mit der Ausdifferenzierung der Verdienste nach unten soll zugleich das gesamte Lohn- und Gehaltsgefüge nach unten gedrückt werden. Dies setzt voraus, dass das Arbeitslosengeld II als neuer unterster Sockel so niedrig angesetzt wird, dass dieser Prozess nicht behindert wird.

Das SGB II bietet somit eine "Grundsicherung", die vorrangig keine Sicherungs-, sondern eine negative Anreizfunktion zu erfüllen hat. Dagegen sind die Regelsätze der Sozialhilfe nach dem SGB XII vorrangig durch den verfassungsrechtlichen Auftrag geprägt, die Würde des Menschen durch einen Zugang zu einem bedarfsdeckenden Existenzminimum zu gewährleisten. Hier dienen die Regelsätze also dazu, eine Grenze nach unten zu ziehen ("Sockelung") und die sozialstaatliche Schutz- und Sicherungsaufgabe zu erfüllen. Gleichzeitig bilden sie jedoch auch das Bezugssystem für die Festlegung des Leistungsniveaus in der neuen "Grundsicherung für Arbeitsuchende" gemäß SGB II. Diese widersprüchliche Aufgabenstellung prägt den aktuellen Verordnungsentwurf.

Tatsächlich sind in dem Ende 2003 verabschiedeten SGB II die Beträge für das neue Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld vorab festgeschrieben worden. Die eigentlich hierfür als Richtgröße dienenden Sozialhilferegelsätze sollen nunmehr nachträglich auf dem Verordnungswege bestimmt werden. Der Eindruck entsteht, dass mit der Verordnung nur noch nachträglich legitimiert werden soll, was bereits vorab im SGB II unter dem Diktat der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik sowie der leeren Kassen vorgegeben wurde.

Auch der Inhalt der geplanten Verordnung gibt Anlass zu Kritik, denn die vorgesehene Vorgehensweise genügt nicht den Anforderungen eines transparenten, nachvollziehbaren und in sich konsistenten Bemessungsverfahrens:

  • Die Verordnung sieht die Bemessung des notwendigen Lebensbedarfs in Form von Regelsätzen vor, die auf der Grundlage tatsächlicher Verbrauchsausgaben von Haushaltsgruppen im unteren Einkommensbereich festgelegt werden. Dabei muss der Zirkelschluss ausgeschlossen sein, dass die tatsächlichen Verbrauchsausgaben von sozialhilfeberechtigten Haushalten für die Bestimmung des notwendigen Bedarfs herangezogen werden. Um dies zu gewährleisten, reicht es jedoch nicht aus, dass - wie vorgesehen - nur die Sozialhilfeempfänger in der betrachteten Haushaltsgruppe unberücksichtigt bleiben. Notwendig wäre es, auch alle Bezieher von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende sowie für Ältere und Erwerbsgeminderte herauszunehmen. Unberücksichtigt bleiben müssten auch die Personen, die über Sozialhilfe- oder Grundsicherungsansprüche verfügen, diese jedoch nicht geltend machen (die sogenannte Dunkelziffer der Armut).
Indem bei der Bemessung der Regelsätze allein auf untere Haushaltseinkommen Bezug genommen wird, wird zugleich in Kauf genommen, dass bei der absehbaren Abkoppelung des unteren Einkommensbereichs von der allgemeinen Einkommensentwicklung (Niedriglöhne, Renten usf.) auch das Existenzminimum hinter dieser Entwicklung immer weiter zurück bleibt.

-Für die Regelsätze werden statistische Angaben auf Basis der jeweils letzten verfügbaren Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) herangezogen. Da die EVS nur alle 5 Jahre erhoben wird, müssen diese Daten zunächst erst einmal aktualisiert werden. Dabei bleiben zwischenzeitlich entstandene zusätzliche Aufwendungen und Belastungen aber unberücksichtigt (z.B. Zuzahlungen in der Krankenversicherung).