Webwecker Bielefeld: timofejew02

Nummer 3202 hat überlebt (Teil 2)







Begnadeder Redner: Timofejew erzählt aus seiner Zeit in Bielefeld.
Rechts die Übersetzerin Tanja Schuh


Ein Brot pro Woche

Im Lager ist dann Fleischbeschau. Fabrikbesitzer sind zusammengekommen, um sich unter den Neuankömmlingen Arbeitskräfte auszusuchen. Sie müssen fortan vor allem in der Rüstungsindustrie und in der Landwirtschaft arbeiten. Timofejew kommt zunächst nach Dürrkopp, der Fabrikbesitzer hat ihn für zwei Reichsmark gekauft. Seine Aufgabe: Aufräumarbeiten. Lange Arbeitszeiten und wenig Essen prägten seinen Alltag: Ein Kilo Brot pro Woche und einen halben Liter dünner Suppe pro Tag, das war alles. Hinzu kam, das Timofejew jeden Tag außer Sonntags den Weg vom Johannesberg zu den Dürrkopp-Werken in der Innenstadt zu Fuß machen musste. Nach einem Vierteljahr dann soll Timofejew in die Benteler-Werke nach Brackwede. Dort lebte er dann in einer Zwangsarbeiterbaracke direkt auf dem Firmengelände.

Bei Benteler bekam der junge Timofejew wieder Aufräumarbeiten zugeteilt. Doch als er sich an der Ordnung vorbei ein bisschen Brot besorgen will und erwischt wird – er stellte sich mit den Arbeitern der Nachtschicht bei der Brotvergabe an – heißt es fortan: Fabrikarbeit. So produziert er bis 1945 Flugabwehrgeschosse. An den Drehbänken stehen nur noch wenige deutsche Männer, vielmehr neben deutschen vor allem russische Frauen, die die Waffen gegen ihr eigenes Volk herstellen müssen.

Eisen stapeln für die deutsche Kriegsmaschinerie

Timofejew muss fünf Kilo schwere Eisenstücke stapeln, die dann in einem Ofen erhitzt und in Lauge getaucht werden. Ein stechender Geruch liegt die ganze Zeit in der Werkhalle. Anschließend holt Timofejew die Eisenstücke aus der Lauge und stapelt sie auf einem Tisch. 60 Stunden Wochenarbeitszeit, keine Pausen und nichts im Magen. Timofejew ist öfters kurz vor dem Zusammenbruch. Seine einzige Rettung ist dann die Toilette. Dort kann er sich ein bisschen ausruhen, bis ihn der Meister findet und zurück an die Arbeit schickt.

Die Benteler-Werke blieben von Luftangriffen nicht verschont. Der Luftschutzkeller auf dem Werksgelände war für Deutsche reserviert, viele Zwangsarbeiter suchten zusammen mit Kriegsgefangenen, die ebenfalls bei Benteler arbeiten mussten, Schutz in einem Betonrohr. Bei einem Luftangriff, so berichtet Timofejew, kamen 400 Menschen um, weil die Bomber genau das Betonrohr trafen. Fortan mussten sich die Zwangsarbeiter bei Luftangriffen in einer Werkshalle versammeln. Kein sicherer Ort, getrieben von Angst suchte Timofejew immer wieder nach besseren. So gelangte er einmal in einen Keller, wo er während eines Angriffes sah, wie einem Kriegsgefangenen innerhalb von vier Stunden die Haare ergrauten.

Einmal gelingt es ihm sogar, sich in den Schutzraum zu mogeln. Timofejew hat zu diesem Zweck sein ›Ost-Abzeichen‹, mit dem er immer sofort und überall als Zwangsarbeiter zu erkennen ist, verdeckt. Er setzt sich neben eine junge Frau. Sie sagt zu ihm: »Du bist Russe, nicht wahr?«. Er nickt, sie gibt ihm dennoch ein Stück Brot und ihre Adresse. Dort geht er fortan an seinen freien Sonntagen hin, sie gibt ihm zu Essen und unterrichtet ihn über den Kriegsverlauf. Die Familie ist selbst in Schwierigkeiten: Der Sohn hält sich versteckt, er will sich nicht im Krieg abschlachten lassen.

Ein Beispiel dafür, dass Timofejew in der unmenschlichen Situation der Zwangsarbeit immer wieder Menschlichkeit und Solidarität bekommt. Genauso wie die Geschichte mit dem Mädchen, das ihm in der Nähe der Ravensberger Spinnerei zwei Kilo Brot im Gebüsch hinterlegt. Er traf sie zuvor in der Bäckerei, sie sagte zu ihm: »Geh hinter mir her«.