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In der deutschen Kriegswirtschaft verbraucht (30.06.2004)





Wolfgang Herzog: Systematische Aufarbeitung der Geschichte der ZwangsarbeiterInnen in Bielefeld und Brackwede fehlt bis heute



Von Manfred Horn

Im Rahmen der Veranstaltung mit Wladimir Timofejew am vergangenen Freitag in der Stadtteilbibliothek Brackwede gab Wolfgang Herzog vom Verein ›Gegen Vergessen, Für Demokratie‹ einen Einblick in die Geschichte der ZwangsarbeiterInnen in Brackwede. Im Amtsbezirk Brackwede arbeiteten alleine 6.000 ZwangsarbeiterInnen, davon 4.000 direkt im Ort. Eine enorm hohe Zahl, hatte Brackwede in den 1940er Jahren nur 15.000 EinwohnerInnen.

Brackwede galt damals als »Industriedorf«: Wenig EinwohnerInnen, dörfliche Struktur, viel Industrie. Vor allem die Metallindustrie war präsent. Die expandierte bereits vor dem 2. Weltkrieg. Praktisch mit der Machtübernahme begann Adolf Hitler ein immenses Rüstungsprogramm. Der spektakulärste Fall, erzählt Herzog, war das Unternehmen ›Ruhrstahl‹. 1930 übernahm es die ›Press- und Stanzwerke Brackwede‹, ab 1934 wurde massiv ausgebaut. »Der größte Teil der neuen Betriebsstätten war von vornherein zur Produktion von Munition und Rüstungsgütern bestimmt«, weiß Herzog. Die Belegschaft stieg von 1934 bis 1939 um das Siebenfache auf 1.580 Beschäftigte, während des Krieges auf 2.400. Zu den Produkten von ›Ruhrstahl‹ gehörten Granaten, Lafetten, Flugzeugpanzerungen, Gewehrläufe und auch Flugabwehrraketen.

Da die deutschen Männer größtenteils in den Krieg zogen, wurden sie durch einheimische Frauen und durch ZwangsarbeiterInnen aus der teileroberten Sowjetunion ersetzt. Die Unternehmen in Brackwede wurden zwar während des Krieges bombardiert und teilweise nach 1945 demontiert. Dennoch: Die Expansion im Zeichen von Rüstung und Kriegswirtschaft wurde für viele Betriebe in Brackwede zur Basis ihrer weiteren Entwicklung in den späten 1940er und 1950er Jahren, wie Herzog berichtet.

Ohne die sogenannten ›Ostarbeiter‹, also die ZwangsarbeiterInnen aus der damaligen Sowjetunion, hätte die Kriegsindustrie während des Krieges gar nicht aufrecht gehalten werden können. Etwa 70 Prozent der aus der Sowjetunion Deportierten waren Frauen, dagegen bei den ›Westarbeitern‹ – ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene vor allem aus Frankreich und den Beneluxländern – nur zehn Prozent. »Je ›minderwertiger‹ nach der damals herrschenden Anschauung die ›Nationalitäten‹ waren, desto ungehemmter wurde auf Frauen als Zwangsarbeiterkräfte zugegriffen«, sagt Herzog. Die meisten verschleppten Frauen waren zwischen 15 und 20 Jahre alt. »Die höchste Bestimmung der Jugend der ›slawischen Untermenschen‹ sollte es sein, in der deutschen Kriegswirtschaft verbraucht zu werden«, urteilt Herzog.

Um die Arbeitsleistung der ZwangsarbeiterInnen voll ausschöpfen zu können, wurden diese mit einem System aus Sanktion und Belohnung überzogen. Es gab sogenannte »Leistungsernährung«. Wer mehr produzierte, bekam auch mehr zu essen. Diese »Leistungsernährung« sollte den Gesamtverbrauch an Lebensmitteln aber nicht erhöhen: Für die weniger Leistenden hieß das dann, noch weniger Essen zu bekommen.

Daneben gab es ein System betrieblicher Strafen, wie Herzog berichtet: Bei der Firma ›Arntzen‹ in Brackwede sollte eine Zwangsarbeiterin wegen »längerem Verlassen des Arbeitsplatzes und unnützer Unterhaltung« sechs Tage lang zwei Stunden Strafarbeit leisten müssen und zusätzlich drei Tage ohne warmes Essen eingesperrt werden. Der Strafkatalog war je nach Betrieb abgestuft. Im Hintergrund stand aber immer auch die Androhung von Gewalt, das heißt das Eingreifen der Gestapo (Geheime Staatspolizei).