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Auf dem Hocker an der Werkbank (Teil 2)



Klimenko überlebte das Lager trotzdem, sie wurde anschließend in verschiedene Gefängnisse gesteckt. Sie kam schließlich nach Linz. Dort sollte sie bei einem Bauern arbeiten, der wollte sie aber nicht: Zu abgemagert, zu schwach. Sie hat die Zeit auch überlebt, weil ihr inmitten der Grausamkeiten Menschen manchmal geholfen haben: Es war Nahrung, die ihr von der einheimischen Bevölkerung zugeschoben wurde. Sie unterbrach den Dauerzustand, in dem sich die Menschen im Lager um das wenige Essen prügelten: »Für Essen hat einer den anderen totgeschlagen«, sagt Klimenko.


Zu Hause als Verräterin

1945 dann das Ende der Zwangsgeschichte: Zunächst musste sie nahe Wien noch Schützengräben ausheben. Es musste bis zur Erschöpfung gegraben werden, geschlafen wurde trotz bitterer Kälte im Freien. Dann kam Klimenko wieder nach Linz. Sie hatte Glück: Viele ihrer KameradInnenn wurden in diesen letzten Tagen des Krieges in den Wald geführt und erschossen. Sie hingegen wurde von den US-Truppen befreit. Klimenko dachte sofort an ihre Heimat: »Ich will nach Hause«, sagte sie den US-Offizieren. Die boten ihr an, in die USA zu kommen, Klimenko lehnte ab.

Zu Hause war es dann aber gar nicht heimelich. Klimenko lebt bis heute in Tscherkassy in der Ukraine, über lange Jahre wurde sie diskriminiert. So Sowjetzeiten galten heimgekommene ZwangsarbeiterInnen als Verräter, weil sie im feindlichen Ausland tätig waren. Die Umstände interessierten dabei nicht. »Für mich war überall Sperre«, fasst Klimenko zusammen. Sperre bedeutete damals, dass sie keine weitere Schulausbildung bekam. Ihre berufliche Zukunft war beschränkt auf die einer Arbeiterin.

Als sie dann einen Offizier heiratet, verheimlicht sie ihm ihr Zwangsarbeiterschicksal. Ein gemeinsamer Sohn wächst heran, die Familie zieht nach Halil, einer Insel im Osten, der besseren Verdienstmöglichkeiten wegen. Dort dann jedoch tritt die Partei in das Leben: Ihr wird eröffnet, ihr Mann sei schlau, es mache Sinn, wenn er sich weiterbilde. Klimenko schluckt, was hat das mit ihr zu tun? Sie erfährt es schnell: Dies gehe aber nur, wenn die Ehe annulliert werde. Schließlich könne ein Kader nicht mit einer Frau verheiratet sein, die einmal im feindlichen Ausland war.


Am Ende doch wieder zusammen

Klimenko akzeptiert, die folgenden Jahrzehnte fasst sie nüchtern stenographisch zusammen: Sie heiratet wieder, bekommt ein weiteres Kind. Auch er heiratet. Dann stirbt ihr zweiter Mann, ebenso wie die zweite Frau ihres ersten Mannes Michaylo Nesgaworow. Und 50 Jahre später sind die beiden nun wieder zusammen. Nesgaworow begleitet seine Frau in Bielefeld.

Der Erinnerungs-Vorhang fällt, eine unglaubliche Lebensgeschichte in 45 Minuten. Die SchülerInnen der Stieghorstschule haben interessiert zugehört, einige sichtlich mitgefühlt. Sie hatten die seltene Gelegenheit, ein Stück ›oral history‹ zu hören. »Ich wäre glücklich, wenn in meinem Unterricht immer alle so gebannt zuhören würden«, sagt Schulleiter und Geschichtslehrer Eduard Böger hinterher. Zugleich findet er es »ein bisschen beschämend«, dass es 60 Jahre brauchte, eine solche Einladung auszusprechen. Niemand widerspricht.