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Wissen schaffen über den Terrorismus der RAF (Teil 2)





Der deutsche Herbst im Spiegel des ›Spiegel‹ von 1997



Offenbar müssen erst einige Jahrzehnte vergehen und eine terroristische Bewegung niedergegangen sein, bis sich ein Entstehungsbild von der Wissenschaft mit der nötigen Distanz zeichnen lässt. Dann, ohne den Druck der aktuellen Politik, lassen sich Konstruktionskräfte nachzeichnen. Schon jetzt zeichnet sich deutlich die tatkräftige Mitarbeit der Medien ab. Auf den Schirm gehobene Apologeten einer islamischen Gefahr, allen voran Peter Scholl-Latour, werden dann neu zu bewerten sein.


»Das Bild muss differenzierter gezeichnet werden«

Tolmein bemängelte in seinem Eingangsstatement zunächst, Historiker beschäftigten sich mit Terrorismus, nicht aber mit bewaffnetem Kampf. Ein sprachlich bedeutender Unterschied, ist Terrorismus doch eindeutig negativ kodiert. Welchen Anteil nun haben die Medien an dem Bild der RAF und der RZ als Terroristen? Tolmein meint, eine polare Sichtweise führe nicht weiter: Auf der einen Seite die böse Springer-Presse, die Stimmung gegen die RAF und RZ gemacht habe und auf der anderen Seite der ›Spiegel‹ als Hüterin rechtsstaatlicher Prinzipien. »Das Bild muss differenzierter gezeichnet werden«, sagt Tolmein und verweist auf die heterogene Berichterstattung des ›Spiegel‹.

Über die Abhöraffäre Klaus Traube – ehemaliger Direktor der des Atomkraftunternehmens Interatom – dem eine Nähe zur RAF angedichtet und der 1975 und 1976 abgehört wurde, habe der Spiegel ausführlich berichtet. Herausgeber Rudolf Augstein wollte in dem Lauschangriff aber keinen Skandal sehen, sondern nur die Kosten wissen: »Wenn wir einen Preis für die innere Sicherheit zahlen müssen, wollen wir ihn kennen«.


Die Gründung der TAZ als Folge von Wirklichkeitsferne

Nicht zufällig habe am Ende des deutschen Herbstes 1977, der durch eine Eskalation zwischen Staatsmacht und der RAF gekennzeichnet war, die Gründung der ›TAZ‹ gestanden, erläutert Tolmein. Die herkömmlichen Medien – inklusive dem ›Spiegel‹ – waren nicht nah genug dran an der Wirklichkeitswelt, wie sie viele Linke damals empfanden.

Die RAF selbst war sich der Funktion der Medien bewusst: Das damalige RAF-Mitglied Irmgard Möller erklärte in einem Interview mit Tolmein: »Unser Ziel war eine Propaganda der Tat«. Dazu musste sich die RAF samt ihrer Inhalte in den Medien in ein revolutionäres Licht bringen. Tolmein spricht gar von einem »gescheiterten Versuch der Selbstkonstruktion durch die Medien«.

Was die RAF nicht steuern konnte, waren die die Konstruktionskräfte der Medien selbst. Denn die hatten eigene Interessen, waren zugleich mit dem Staatsapparat verwoben. So verhängte der Krisenstab unter Vorsitz des Bundeskanzlers Helmut Schmidt nach der Entführung von Hans Martin Schleyer im September 1977 eine Nachrichtensperre. Die Medien ordneten sich dem unter und berichteten zunächst nicht mehr über die Entführung.

Allerdings kamen schnell Informationen und Bilder aus dem Ausland. Die Agentur ›Associated Press‹ (AP) sah sich nicht an das Schweigeabkommen gebunden. Kurze Zeit später brachte auch die ›Bild‹ Bilder des entführten Arbeitgeberinteressen, andere Medien zogen nach. Eine Situation, auf die Martin Steinseifer – der zur Zeit seine Dissertation zum »inszenierter Terrorismus« in der Universität Göttingen schreibt – in seinem Tagungsbeitrag genauer einging: Die Bild-Zeitung brachte Vorher-Nachher-Fotos: Auf der einen Seite der abgemagerte, hoffnungslose Schleyer in RAF-Gefangenschaft, auf der anderen Seite ein Foto aus glücklicheren Zeiten vor der Entführung. Die Illustrierte ›Quick‹ arbeitete ebenfalls mit Kontrastierungen: Sie stellte in Bildern die Situation des gefangenen Schleyer dem inhaftierten RAFler Andreas Baader gegenüber. Während Schleyer mit zusammengekniffenen Lippen litt, spazierte Baader scheinbar in lockerer Vollzugsbeamtenbegleitung über einen Hof.