Webwecker Bielefeld: rauchentrinken01

Immer mehr rauchen und trinken (20.10.2004)





Gemeinsam gegen die Sucht: Rolf Hüllinghorst, Ursula Castrup und Thomas Redecker:




Von Manfred Horn

Bundesfinanzminister Hans Eichel denkt im Magazin ›Focus‹ laut über die erhöhte Tabaksteuer nach: Die zweite Steuererhöhung ist für den 1. Dezember 2004 geplant. Allerdings könnte es sein, das Fertigzigaretten nicht viel teurer werden, dafür aber Drehtabak. Denn der Finanzminister beobachtet mit bitterer Mine, dass die Einkünfte aus der Tabaksteuer trotz Steuererhöhung stark rückläufig sind. Einige haben mit dem rauchen aufgehört, zu teuer. Andere weichen auf Selbstgedrehte oder auf Schmuggelware aus. An die Selbstdreher will Eichel jetzt ran und denkt sogar laut darüber nach, die dritte Stufe der Steuererhöhung, noch geplant für den 1. September 2005, für Fertigzigaretten ganz ausfallen zu lassen.

Die ganze Problematik des politischen Umgangs mit Sucht wird hier deutlich: Letztlich geht es ums Geld. Tabak ist die fünftgrößte Steuerquelle für den Bund, so eine Quelle lässt der Staat nicht einfach versiegen. Auf diesem Hintergrund wirken die meisten Politiker-Bekenntnisse gegen das Rauchen vernebelt. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Deutschland hängt sowohl bei den Zigarettenpreisen wie auch bei der Prävention hinterher. Rauchen hat Tradition, auch wenn die Zeiten qualmender Bundeskanzler wie Helmut Schmidt, zu dem die Zigarettenindustrie ausgezeichnete Kontakte hatte, erst mal vorbei sind.

Verschiedene Studien belegen den verstärkten Konsum von Alkohol und Nikotin bei Jugendlichen. Die Studie ›Health Behavior in School Children‹ befragte in Deutschland 5.600 Jugendliche im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Demnach sind deutsche Jugendliche Europameister. 25 Prozent der Jungen und 27 Prozent der Mädchen im Alter von 15 Jahren rauchen täglich. Andere Untersuchungen wie die »Europäische Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen« kommen auf noch höhere Zahlen, an Hauptschulen rauchen knapp die Hälfte der Schüler.

Die ›Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen‹ (DHS) mit Sitz im Hamm richtet ihren Blick auf ihrer diesjährigen Fachtagung ganz auf die Prävention: In der Bielefelder Stadthalle kommen vom 8. bis 10. November über 500 ExpertInnen vieler Felder zusammen, um zu überlegen, wie das Kind erst gar nicht in den Brunnen fällt. Das mit dem Kind ist wörtlich zu nehmen. Sind doch Heranwachsende ein Präventionsschwerpunkt: Die stehen inzwischen mit 13 an der Ecke und paffen. Das Minimalziel: Der Konsum startet später. »Wenn wir den hinauszögern können, gewinnen wir unendlich viel«, erklärt Thomas Redecker, Ärtzlicher Direktor der Klinik am Hellweg, spezialisiert auf suchtkranke Männer, in Oerlinghausen. Der Körper der Jugendlichen entwickelt sich noch, Abhängigkeitsstrukturen sind später schwerer anzugehen. Redecker spricht von einer kritischen »vulnerablen Phase«. Kampagnen wie ›Smart don’t start‹ würden zeigen, dass sich mit Präventionsarbeit vor allem in Schulen der Rauchstart um zwei Jahre hinauszögern ließe.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk setzt in ihrem im April 2004 erschienenen Drogen- und Suchtbericht verstärkt auf präventive Maßnahmen. Doch von Prävention reden ist das eine, sie vollziehen das andere. Während in der Bundesrepublik alleine gut 500 Millionen Euro in die Alkoholwerbung gesteckt wird, stehen gerade einmal 12 bis 14 Millionen für Prävention bereit. »Für Prävention fühlt sich niemand so recht zuständig«, bemängelt Rolf Hüllinghorst, Geschäftsführer der DHS.