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Die Politik der neuen Lebensbestimmung (Teil 2)



Leider verbuchten die meisten großen Hersteller Entwicklungen, die das Leben erleichtern, gern als »Sonderthema«. Telefone mit großen Tasten beispielsweise würden fast ausschließlich als »behindertengerecht« angeboten. Wer gibt schon gern zu, körperlich eingeschränkt zu sein? So mancher Sehschwache klebt lieber mit der Nase an einer winzigen Tastatur, als sich als »Behinderter« zu outen. Günter kommentiert: »Wenn die das Telefon mit den großen Tasten einfach als Komforttelefon anbieten würden, würden sie wahrscheinlich dreimal so viel davon verkaufen.«


Wer fit ist, verdrängt

Es fehlt an Feingefühl. Wer fit ist, schert sich wenig um die Barrieren des Alltags. Sehen, hören, Treppen überwinden, Türen öffnen, Wasserkisten schleppen, aus der Wanne steigen, sich rundum selbst versorgen, alles kein Problem. Und wer fit ist, lässt nur ungern den Gedanken zu, dass er es nicht für immer bleibt. Wieso ist es so leicht, zu verdrängen? »Wir leben in einem Jugendwahn, der durch die Medien und die Werbewirtschaft befördert wird«, stellt Haack fest. »Es wird nicht wahrgenommen, dass sich diese Gesellschaft dramatisch verändert und damit andere Bedürfnisse wichtig werden.« Auch aufgrund der Euthanasie im Dritten Reich sei das Thema Menschen mit Behinderungen lange verdrängt worden.

Mit dem »Paradigmenwechsel«, den die rotgrüne Bundesregierung initiiert hat, kehrt das Thema in die Gesellschaft zurück mit der Forderung, behinderte Menschen als normale Menschen anzunehmen. Haack: »Jeder hat irgendwo eine Behinderung, einen Artikulationsfehler, einen Gehfehler, einen Sehfehler, irgendeine Macke. Es ist immer nur ein definitorisches Problem, wen ich ausgrenze und wen nicht. Darum muss man sagen, jeder Mensch ist normal. Und weil jeder Mensch normal ist, ist jeder Mensch behindert, das ist die Dialektik.«


Behinderte gleichberechtigt teilhaben lassen

Mit dem »Paradigmenwechsel« hat sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben, politische Grundlagen zu schaffen, die Behinderten die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 vereinbarte die neue Regierung mit den Trägerverbänden der chronisch Kranken und Behinderten vier Punkte: Ein Bundesgleichstellungsgesetz für den öffentlichen Bereich, ein Antidiskriminierungsgesetz für den privatrechtlichen Bereich, ein Eingliederungsgesetz - das SGB IX - und ein Arbeitsmarktgesetz, um Menschen mit Behinderungen im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen, statt sie in eine Werkstatt zu vermitteln.

Nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter und dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch trat im Mai 2002 mit dem Gleichstellungsgesetz das dritte zentrale behindertenpolitische Vorhaben der rot-grünen Regierung in Kraft. Es sichert behinderten Menschen unter anderem den Zugang und die eigenständige Nutzung öffentlicher Gebäude und Verkehrsmittel zu. Seitdem öffnen sich Behördentüren per Knopfdruck. Einige Barrieren im Alltag wurden beseitigt. Langsam geht es voran.


Der lange Weg durch die Institutionen

Bei den Verbänden und Organisationen Behinderter verbreitet sich Ungeduld. Auch das Antidiskriminierungsgesetz kommt nur langsam in auf den Weg. Kein Wunder, soll es doch die Belange von Migranten, Ausländern, Frauen, Männern, gleichgeschlechtlich Liebenden und Behinderten unter einen Hut bringen. Arbeitgeberverbände sträuben sich, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen als rechtsverbindliches Problem festzuschreiben.