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Eric Friedler, Barbara Siebert, Andreas Kilian, »Zeugen aus der Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz« (Teil 2)



Gerade den Neuankömmlingen im Sonderkommando boten diese Gruppen Orientierung im Zustand des ersten Schocks und Entsetzens angesichts des Vernichtung, sie boten Schutz und menschliche Anteilnahme, soweit dies unter den Bedingungen möglich war. Allerdings griff der Terror des SS solche solidarischen Kontakte immer wieder an: Fluchtversuche, selbst ein individueller Selbstmord konnte Bestrafungsaktionen, wie z.B. Erschießungen, für die gesamte Gruppe der Häftlinge im Sonderkommando nach sich ziehen.
Angesichts dieser Situation ist es umso bemerkenswerter, dass einige Häftlinge die Kraft fanden, an Widerstand zu denken und versuchten diesen umzusetzen, obwohl sie wussten, dass sie dabei wahrscheinlich sterben würden. Die gemeinsamen Planungen mit anderen Häftlingen, der Kontakt zur Widerstandsbewegung im Lager, die Hoffnung auf Rache stärkte ihren Willen zu leben.

So gelang am 4.April 1944 den Häftlingen Rudolf Vrba und Alfred Wetzler mit Unterstützung der Widerstandsbewegungen der Ausbruch. Spätestens im Juni war ihr Bericht über die mörderische Funktion Auschwitz, belegt durch Beweise wie Listen mit der Anzahl der ermordeten Menschen, das Etikett einer Zyklon B-Büchse und detaillierte Lagerpläne, den Alliierten, dem Vatikan und internationalen jüdischen Organisationen bekannt. Filip Müller, Überlebender des Sonderkommandos: „In meiner Phantasie malte ich mir aus, wie alliierte Bombenflugzeuge schon bald die Krematorien und Gaskammern in Schutt und Asche legen würden.(...)Wenn die beiden Freunde erst einmal eine Bresche in die Mauer des Schweigens geschlagen hätten, dann würde bestimmt bald Stille in den Schlachthöfen hier einkehren.“ Zwar überflogen Bomber im Sommer 1944 regelmäßig das Lager, die Krematorien wurden nicht bombardiert, auch die Vernichtung der ungarischen JüdInnen wurde nicht verhindert. Auch angesichts der drohenden eigenen Ermordung entschied sich die Widerstandsgruppe des Sonderkommandos trotz der Übermacht der SS zum Aufstand, der am 7.Oktober 1944 stattfand. Das Krematorium III, in dem sich drei Gaskammern und acht Verbrennungsöfen befanden, wurde zerstört, drei SS-Männer wurden getötet. Die Häftlinge des Sonderkommandos widerlegten mit ihrem Widerstand die NS-Ideologie, die in ihnen willenlose Untermenschen sah. Durch ihren Mut bewiesen sie ihre menschliche Würde. Der Preis war hoch, über 450 Häftlinge wurden ermordet. Anfang Januar 1945 wurden noch vier Frauen aus dem Frauenlager, die die Aufständischen mit der Beschaffung von Sprengstoff unterstützt hatten, hingerichtet. Vor der bevorstehenden Befreiung Auschwitz durch die Rote Armee setzte die SS die restlichen Häftlinge des Sonderkommandos zur Spurenbeseitigung ein, allerdings gelang dies u.a. durch Sabotageakte der Häftlinge nicht vollständig. Ab dem 17. Januar begangen die Evakuierung des Lagers und die Todesmärsche. Die Häftlinge des Sonderkommandos wussten, dass sie nun als Augenzeugen der Vernichtung ermordet werden würden. Sie nutzten die Verwirrung und Auflösungsprozesse im Lager, um sich unter die anderen Lagerhäftlinge zu mischen, um so zu entkommen. Insgesamt haben wahrscheinlich bis zu 110 Häftlinge des Sonderkommandos überlebt. Viele der Überlebenden waren jung, konnten sich ein neues Leben aufbauen. Allerdings leiden sie, wie Shlomo Venezia, Überlebender des Sonderkommandos sagt, an einer „Krankheit ohne Nahmen“, die Alpträume verursacht, sie nicht schlafen lässt, Schuldgefühle und Depressionen auslöst.