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Vom Leben mit Quälgeistern (06.04.2005)





Wenn »Stalker« ihre Opfer terrorisieren, machen Mängel in Forschung und Gesetzgebung es den Opfern schwer sich zu schützen. Ein neues Gesetz könnte dies ändern. (Foto: Huib Rutten)

Von Aiga Kornemann

Anne W. (Name geändert) wird von einem Kollegen belästigt, dessen Annäherungsversuche sie zurückgewiesen hat. Der Kollege überschüttet sie mit Blumen, Briefen und Einladungen. Als Anne W. dennoch ablehnend bleibt, beginnt der Kollege ihr zu drohen. Sie werde schon sehen, was sie davon habe. In der Folgezeit klingelte ihr Telefon bis zu fünfzig Mal am Tag und in der Nacht. Im Briefkasten findet sie anonyme Protokolle, in denen minutiös zu lesen ist, wo sie sich aufhält und mit wem sie gesprochen hat. In unregelmäßigen Abständen taucht der Stalker vor ihrer Haustür auf. Die Reifen ihres Autos werden zerstochen, die Scheiben zerschlagen.

Anne W. wendet sich an die Polizei, schreckt aber vor einer Anzeige zurück. Nach Monaten der Unsicherheit und Angst wendet sie sich an eine Beratungsstelle. Ein Gespräch über das frühere Verhalten des Stalkers und die Analyse seiner Briefe ergibt, dass er sich von Autoritäten beeindrucken lässt. Anne W. wendet sich daraufhin an einen Rechtsanwalt, der ein Schreiben an den Stalker aufsetzt. Der schreibt daraufhin noch mehrmals an den Anwalt, um sich zu rechtfertigen, lässt Anne W. aber fortan in Ruhe.


Unrechtsbewusstsein fehlt

Nicht immer gehen Stalking-Fälle so glimpflich aus. Eines der prominentesten Opfer ist John Lennon. Er wurde im Dezember 1980 von einem Stalker erschossen. Noch im März dieses Jahres sorgte ein Fall in Norddeutschland für Schlagzeilen, als ein Stalker seine getrennt lebende Ehefrau erstach, nachdem er sie lange Zeit bedrängt hatte. Kurz zuvor hatte der Mann sich vor Zeugen geäußert, er werde sich eine Waffe besorgen, weil er Ärger mit seiner Frau habe. Nur nahm die Polizei den Hinweis nicht ernst.

Der Begriff »Stalking« entstammt der Jägersprache, heißt »sich anpirschen, heranschleichen«. Der Begriff steht synonym für besessene Verfolgung, die von Beschattung und Telefonterror über Auflauern am Hauseingang bis zu körperlicher Gewalt reicht. In der Regel gründet der Psychoterror auf der irrigen Annahme der Stalkerin/ des Stalkers, ihr oder sein Opfer auf diese Weise zu einer Beziehung bewegen zu können. Doch nicht immer steckt »Liebeswahn« hinter den Belästigungen. Oft geht es um Erpressung, Rache und Schikane. Gezeichnet von einer psychopathischen Störung, Erotomanie oder sozialer Inkompetenz fehlt den TäterInnen meist jedes Unrechtsbewusstsein.


Täter meist männlich

US-amerikanischen Studien zufolge werden in den Vereinigten Staaten jährlich etwa eine Million Frauen und knapp 400.000 Männer Opfer von Stalkern. In Deutschland werden rund eine halbe Million Menschen jährlich von Stalkern terrorisiert, schätzt der auf Stalking spezialisierte Rechtsanwalt Volkmar von Pechstaedt. Umfragen des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim zufolge waren zwölf Prozent der Bevölkerung schon mal Opfer von Stalkern. Nicht eingerechnet in diese Zahlen sind die PartnerInnen der Betroffenen, ihre Kinder und ihre Freunde oder Bekannten, die mittelbar auch unter den Belästigungen zu leiden haben.

Die Mehrzahl der Täter sind männlich, ergibt eine Studie der Technischen Universität Darmstadt. Die Mehrzahl der Opfer kannte die Täter. Oft sind es Ex-Partner, die die Scheidung oder Trennung nicht akzeptieren wollen, oder flüchtige Bekannte, die sich eine Liebesbeziehung einbilden. Andere geben vor, Vergeltung für vermeintliches Unrecht üben zu müssen. Sie bombardieren ihre Opfer mehrmals täglich mit Telefonanrufen und Mails, treiben sich Monate lang im Umfeld des Opfers herum, spionieren seine Wege und Kontakte aus. Belästigungen und Drohungen können sich über Jahre fortsetzen.